Positives Feedback, genau genommen

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Management im Kopf: Folge 103. Komplexität und Menschenführung: Die Vorboten von Konflikten und Krisen.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht's, dass ein Ding kein Gift sei.“ Diese Einsicht verdanken wir Paracelsus. Um ein klares Bild davon zu bekommen, welche Bedeutung Positives Feedback in den Systemwissenschaften hat, kann man sich an diesen Gedanken des Universalgelehrten aus dem 16. Jahrhundert lehnen. Man muss zu den Dingen einfach nur Aktionen hinzunehmen und Gift auf das Schädliche an sich erweitern. Positives Feedback steht für mehr von derselben Wirkung. Wird mehr vom selben zu viel, führt das zu Konflikten, Eskalationen, Krisen und Zusammenbrüchen aller Art. Positives Feedback ist das wichtigste Frühwarnzeichen für kritische Entwicklungen. Wer als Manager nachhaltig erfolgreich sein möchte, sollte mit Positivem Feedback selbst im Schlaf erfolgreich umgehen können. Mit Lob und Anerkennung hat es übrigens gar nichts zu tun.

Lob und Anerkennung

Woher kommt es, dass heute die meisten Menschen unter positivem Feedback Lob oder Anerkennung verstehen? Ich vermute, das kommt daher: Etwa im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hat man in Pädagogik- und Führungskonzepten versprochen, durch mehr Lob und Anerkennung entstehe mehr Motivation und Leistung. Ist das in einem Fall so, läge als Output tatsächlich die etwas steigernde oder verstärkende Wirkungsart von „Positivem Feedback“ vor – ein Positiver Regelkreis. Vermutlich hat das ein Autor damals so erklärt. Weil das Gehirn zu anspruchsvolle Dinge aber nicht so gerne mag, neigen viele Menschen dazu, komplexe und komplizierte Angelegenheiten geistig zu vereinfachen und damit zu verfremden. Was wie ist und warum, interessiert viele nicht. Sie wollen nur wissen, was sie tun sollen. So haben sie den Output einfach zum Input gemacht: Lob und Anerkennung = positives Feedback.

Prüfung

Haben Lob und Anerkennung immer eine verstärkende Wirkung auf die Leistung? Wer ohne Verblendung in die Praxis schaut, wird schon festgestellt haben, dass dies bei weitem nicht immer der Fall ist. Beides kann auch zu mehr Selbstzufriedenheit und weniger Engagement führen: Wozu noch mehr anstrengen? Ich bin eh super! Abgesehen davon hat auch Leistung seine Grenzen. Man versuche einmal, jemanden im höchsten Stadium von Burnout durch Lob und Anerkennung zu mehr Leistung zu bringen. Schwer Erschöpfte bringt man damit nicht einmal von der Bettkante hoch.

Mehr Geringschätzung – mehr Leistungsabfall

Verlassen kann man sich viel eher auf das Gegenteil: Geringschätzung und dergleichen vernichten die Leistungsfähigkeit von Menschen systematisch: Je mehr Geringschätzung umso mehr Leistungsabfall. Auch das ist ein Fall von Positivem Feedback. Bei den einen sinkt die Leistungsfähigkeit durch Deprimiertheit/Depression. Andere lassen sich Geringschätzung nicht gefallen und rächen sich mit Leistungsverweigerung, Dienst nach Vorschrift zum Beispiel. Für systematischen Leistungsabfall braucht man bloß ausgeprägte Narzissten als Führungskräfte einzusetzen. Sie sind die Meister im Geringschätzen anderer Menschen. Damit lösen sie Stress, Informations- und Denkblockaden, Demotivation und Burnout ohne Umwege aus, während sie sich großartiger Führungskünste brüsten, nach Misserfolgen ein Bauernopfer nach dem anderen feuern und dann über Fachkräftemangel klagen.

Ein Auge fürs Subtile

„Nichts entspringt Geistern oder Zauberei, sondern dem natürlichen Lauf der subtilen Natur.“ Das u.a. meinte Paracelsus auch. Man beachte das Adjektiv subtil. Nur das Wenigste drückt uns die Natur aufs Auge. Der kluge Umgang mit ihr braucht das Auge für das Subtile, das fein Strukturierte, das Komplexe. Sinnbildlich nur das Auge, tatsächlich das nötige Wissen, weil man das Subtile eben nicht sehen, sondern nur wissen und denken kann. Der Begriff Positives Feedback stammt aus den Systemwissenschaften. Dort konzentriert man sich auf das Subtile. Man fragt nicht wie in den meisten anderen Gebieten danach, was eine bestimmte Angelegenheit ist. Der Fokus liegt auf der Beziehungs- nicht auf der Sachebene. Man untersucht, wie Teile eines Ganzen aufeinander wirken, zusammenwirken, wie etwas funktioniert.

Das kybernetische Gesetz der Homöostase

Um Funktions- und Wirkweisen mit hohem Informationswert beurteilen zu können, achtet man in den Systemwissenschaften auf entscheidende Phänomene, die man mit klar definierten Begriffen zum Ausdruck bringt. Positives Feedback ist ein solcher Fachbegriff. Hier versteht man darunter, wie schon erwähnt, eine Wirkung durch welche eine bisher entstandene Wirkung verstärkt wurde. Im Rahmen der System Sciences fand man heraus, dass Systeme, in denen mehr Positives als Negatives Feedback auftritt, zu instabil, d.h. stör-, fehler- und krisenanfällig werden. Tritt nicht rechtzeitig eine Korrektur (=Negatives Feedback) ein, kommt es zum Zusammenbruch. Das ist das kybernetische Gesetz der Homöostase; eine wirkungsbezogene Gesetzmäßigkeit, die immer und überall auftritt.

Mehr vom selben

Ein Beispiel: Bernhard ist ziemlich übel. Weil seiner Oma bislang immer Melissengeist geholfen hat, wenn ihr schlecht war, gibt sie ihm solchen. Davon wird ihm aber noch übler. Es ist Positives Feedback eingetreten, der Melissengeist hat mehr vom selben, mehr Übelkeit hervorgebracht. Nun denkt Bernhard, er hätte zu wenig davon genommen. Er nimmt noch einen großen Schluck. Davon wird ihm nun so übel, dass er zuerst erbricht und dann kollabiert. Es ist eine Gesetzmäßigkeit, dass die Natur eine Zufuhr von zu viel vom selben im harmlosesten Fall durch Eskalationen, in ernsten Fällen durch Krisen und im ernstesten Fall durch Zusammenbrüche stoppt. Dieses Phänomen gilt für alle Arten von Beziehungen, nicht nur für körperliche und zwischenmenschliche.

Konflikte, Krisen, Zusammenbrüche

Ein weiteres typisches Beispiel für Positive Regelkreise sind eskalierende Konflikte. Sie entstehen in Situationen, in denen sich die Interessen der beteiligten Seiten nicht vereinbaren lassen, eine oder mehrere Seiten benachteiligt, missachtet oder auch nur missverstanden werden. Die Lösung von Konflikten verlangt von allen oder bestimmten Seiten ein anderes Denken und Handeln als bisher. Nötig ist also eine Korrektur, mit der alle Seiten leben können (diese fiele unter Negatives Feedback). Solche Korrekturen dienen der Deeskalation, also einem Vorbeugen von Eskalationen. Bleiben sie aus, eskalieren Konflikte. Das heißt, sie verschärfen sich, weil zunehmend heftigere Mittel eingesetzt werden, zum Beispiel immer stärkere Waffen in einem Krieg. Von einer Krise spricht man in den Systemwissenschaften dann, wenn eine sinnvolle Lösung nur noch durch eine Veränderung der bisherigen Regelungen entstehen kann. Jeder kennt das von Ehe-Scheidungen. Geht zwischen Eheleuten nichts mehr, können die Regelungen beendet werden, die durch eine Ehe entstehen. Man muss dann etwa nicht mehr zusammenwohnen, einander nicht mehr sehen, nicht mehr treu und in guten wie schlechten Zeiten füreinander da sein, usw.

Vorboten und Krisenprävention

Eskalationen sind die deutlichsten Anzeichen für Krisen. Ihre frühen Vorboten kündigen sich jedoch lange oder zumindest länger davor durch den Ablauf von Positivem Feedback an. Man muss also nur darauf achten, ob von etwas zu viel eintritt und ob dieses zu viel rechtzeitig eingestellt wird. Manche Eskalationen führen die Bereinigung eines Konflikts herbei. Man kennt das als „reinigendes Gewitter“. Andere führen aber unmittelbar in den totalen Zusammenbruch. Ein Beispiel: Zwischen zwei Bereichsleitern herrscht seit Jahren ein schwerer Konflikt. Eines Tages bricht bei einem neuerlichen Streit einer der beiden mit einem Herzinfarkt zusammen. Kommt es durch diesen Vorfall doch noch zu einer nachhaltig wirksamen Lösung, zum Beispiel indem deren Chefs doch endlich eine kluge Entscheidung treffen, könnte man von einer heilsamen Eskalation sprechen, obwohl diese durch eine Krankheit eingetreten ist. Überlebt dieser Bereichsleiter seinen Infarkt aber nicht, steht das für eine Eskalation, die direkt im Zusammenbruch endet. Es hilft, prinzipiell davon auszugehen, dass sich Krisen nicht von selbst lösen. Man muss korrigieren, was korrigiert werden muss. Das ist eine der wichtigsten Funktionen des Managements – eine kluge Fehlerpolitik nämlich.

Gier und Ausbeutung

Ein häufiger Treiber für Positive Regelkreise im Umgang mit Menschen, aber auch mit Ressourcen an sich, ist Gier. Sie nämlich treibt zur Ausbeutung. Bekommt eine Seite von einer anderen nie genug, geizt dabei aber mit adäquater Gegenleistung, bleibt Negatives Feedback also aus, ist der schnurgerade Weg in die Eskalation und den Zusammenbruch bereits eingeschlagen. Der Highway dafür: Von anderen immer mehr zu verlangen, aber in Relation dafür immer weniger als bisher zu geben. Beziehungen und Systeme streben von Natur aus nach Ausgleich. Irgendwo finden sie ihr Ventil. An dem Dampf, den sie dann ablassen, verbrennen sich dann sinnbildlich gesprochen alle, die ihn erzeugt haben. Also nicht nur die Ausbeuter, sondern auch jene, die sich ausbeuten ließen. Die einen müssen ausbeuten, die anderen müssen sich ausbeuten lassen, erst dann kommt es so weit.

Mehr vom selben Blödsinn?

Heikel, ja gefährlich wird es also immer, wenn zu viel vom Falschen entsteht, aber auch zu viel vom Passenden. Die Dosis macht das Gift. Nun wird wohl ein jeder sagen: No na! Ja, es ist tatsächlich so einfach. Nicht ganz so einfach ist es aber oft, Positive Regelkreise rechtzeitig zu korrigieren. Dafür muss man auch einmal nachgeben können, Gewohnheiten aufgeben oder zum Beispiel damit aufhören, Fehlinformationen und Missverständnisse zu verbreiten, andere auszubeuten, zu kränken, oder kurz gesagt, mehr vom selben Blödsinn zu machen. Hätte sich das Phänomen des Positiven Feedbacks von Anfang an so herumgesprochen, wie es fachlich korrekt gemeint ist: Wir wären heute gut möglich schon eine Menschheit der intelligenten Problem-Vermeider und -Löser. Gut möglich wäre es heute schon jedem äußerst peinlich, hätte er eine ungünstige Situation durch sein eigenes Agieren oder Reagieren verschärft, wären wir alle am Gestalten an einer schöneren, besseren Welt. So lange man unter Positivem Feedback aber Lob und Anerkennung verstehen möchte, wird man jede Krise als böse Überraschung erleben, der man ohnmächtig gegenübersteht obwohl man es nicht wäre…

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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