Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

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Management im Kopf: Folge 108. Komplexität und Menschenführung: Wie man nachhaltigen Change verhindert.

Wie kann man mit komplexen Systemen erfolgreich umgehen? Diese Grundfrage von Führung und Management in der neuen Ära löst Maria Pruckner auf der Basis verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften. Die international anerkannte Pionierin auf diesem Gebiet behandelt in ihrer Kolumne ab Folge 81 Fragen der Menschenführung und empfiehlt dazu außerdem die Orientierung an den Menschenrechten.

Es gab sie einmal, die Zeiten, in denen Veränderungen in und von Organisationen die Ausnahme waren. Heute sind sie die Regel. Das sollte jede Art von Changemanagement erübrigen. Das erfolgreiche Steuern und Regulieren notwendiger Veränderungen versteht man heute am besten als konstant erforderliche Führungsaufgabe. Denn die meisten Mitarbeiter haben erfahrungsgemäß zumindest vorübergehend Probleme damit, andere Aufgaben als bisher zu übernehmen, unter anderen Regeln oder mit anderen Menschen als bisher zu arbeiten, gar ihre Einstellung und ihr Verhalten zu verändern. Nicht weil es schlechte Mitarbeiter sind, sondern weil sie Menschen sind. Wie übrigens auch Top-Manager, von denen auch viele lieber alles andere verändern, bloß nicht ihre eigene Einstellung, Meinung und ihr eigenes Verhalten. Hier ein topsicherer Fahrplan für das sichere Scheitern.

Große Ziele – kleine Entscheidungen

Die perfekte Kombination, größere Veränderungen sicher scheitern zu lassen, sind große Ziele, die mit viel zu kleinen Entscheidungen verwirklicht werden sollen. Man lasse zum Beispiel innerhalb von einem Jahr den Gewinn vervielfachen, die Fehlerrate auf null Prozent senken oder die Innovationsleistung zur Weltmarktführerschaft steigern. Solche Ziele zu setzen, geht sehr einfach und schnell. Keinesfalls darf man aber Überlegungen aufkommen lassen, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssten, um solche Ziele tatsächlich verwirklichen zu können. Schon gar nicht darf man darüber nachdenken, weshalb sich die Mitarbeiter und Kunden aktuell noch nicht so verhalten wie sie sich in Zukunft verhalten sollen. Das könnte nämlich wertvolle Hinweise für das erfolgreiche Umsetzen der Ziele geben.

Man delegiere die Verantwortung

Selbstverständlich kann man als Unternehmer oder Top-Manager nicht alles selber machen. Man mache daher einfach möglichst viele Manager verantwortlich dafür, dass sie die Ziele in der vorgegebenen Zeit realisieren und verteile ihre Aufgaben so, dass niemand auch nur irgendetwas allein und selbstständig entscheiden kann. Damit stellt man den höchsten Aufwand sicher. Denn zumal die Verantwortlichen nicht Kopf und Kragen riskieren möchten, werden sie sich nun tief in die Materie stürzen. Mithilfe von Experten werden sie sich schlau machen und die Einsicht gewinnen, dass nichts so einfach ist, wie es klingt. Die Komplexität der Umstände wird sich vor ihren Augen wie ein großes Gebirge aufbauen. Aber sie werden anhand vieler, vieler Meetings Pfade finden, über die es am besten überquert werden kann.

Die Kontrolle behalten

Danach werden die ersten Meetings mit dem Auftraggeber stattfinden. Die Verantwortlichen werden die strategische Lagebeurteilung samt erster Vorschläge präsentieren. Dafür, ihren Chefs die Komplexität der Umstände so kurz, anschaulich und einfach wie möglich darzustellen, werden sie viel Zeit und Anstrengung aufgebracht haben. Am besten geht man nun davon aus, dass keiner von ihnen mehr Einsichten, Überlegungen, Chancen- und Risikoabwägungen im Kopf hat, als sie auf ihren Folien präsentieren. Schließlich können sie nicht mehr wissen und verstehen als ihre Chefs. Schon gar nicht darf man davon ausgehen, dass sich die Verantwortlichen mit strategischem Wissen, Denken und Vorgehen beschäftigt haben. Im Gegenteil, man muss penibel darauf achten, dass solch intellektuelles Zeug erst gar nicht aufkommt.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

Stattdessen konzentriere man sich darauf, bei den Präsentationen systematisch nur jenen Details zuzustimmen, die für die Auftraggeber der Veränderung von Vorteil sind und alles zu streichen, was ihnen selbst Arbeit, Verantwortung oder andere Nachteile verschaffen könnte. Das Designprinzip für die weitere Vorgehensweise ist ganz einfach „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Man bestehe vehement darauf, dass die Ziele erreicht werden, lasse aber keinesfalls zu, dass sich dadurch bei den Auftraggebern auch nur irgendetwas verändert. Ja, die Verantwortlichen sollen innovativer, kreativer, produktiver werden. Unbedingt! Wofür bezahlt man sie schließlich? Sie sollen verändern was nötig ist. Selbstverständlich! Aber Veränderungen im Top-Management? Dafür muss es ein klares „no go“ geben. Das Top-Management ist es nämlich, dass mit Sicherheit jeden Erfolg verhindern kann.

Notoperationen

Sobald den Verantwortlichen klar geworden ist, dass man im Top-Management nur Vorteile in Kauf zu nehmen bereit ist, aber keinerlei Nachteile, hat man das Wichtigste erreicht. Je nachdem, wie erfahren sie mit einem solchen Vorgehen sind, werden sie sich erst gar nicht wundern, wieder einmal enttäuscht sein oder völlig schockiert. Ihre Motivation, die vorgegebenen Ziele tatsächlich zu verfolgen, ist spätestens an diesem Punkt auf jeden Fall so gut wie sicher abgestorben. Die einen werden nun geflissentlich so tun als ob, die anderen werden sich nach besseren Arbeitgebern umsehen und die dritten werden die Situation nutzen, um zu lernen, was in Organisationen weshalb alles schieflaufen kann. Sie alle werden sich nun für Notoperationen entscheiden, die auch für sie selbst nicht nachteilig sein können. Sie werden nur noch liefern, was ihre Chefs hören wollen.

Tollheit

So, nachdem nun schon viel Zeit und Geld den Bach hinuntergeflossen sind, und die Ziele längst publik, wird es Zeit, entsprechende Zeichen zu setzen. Die Mitarbeiter wissen nun nämlich schon, dass da irgendetwas kommt, was sie betreffen und ihr Leben verändern wird. Nachdem man es konsequent unterlassen hat, sich den Kopf über ihre Situation, Möglichkeiten und Potenziale zu zerbrechen, stehen nun keine Hindernisse mehr dafür im Weg, sie mit dem Neuen zu konfrontieren und damit auch sie in die Verantwortung zu nehmen. Das macht man am besten mit einem Werbespot, der deutlich macht, wie toll das Top-Management, Unternehmen und die Veränderung/Neuheit ist, dass daher erwartet werden darf, dass die Mitarbeiter ebenso toll die großen Ziele in der vorgegebenen Zeit zu erreichen haben.

Einfach und kurz

Ein solcher Werbespot darf keinesfalls länger als eine Minute sein. Man weiß ja, wie kurz die Aufmerksamkeitsspanne heutzutage ist. Am besten zeigt man auch den Mitarbeitern die Vorteile der Veränderung auf. Da man konsequent nicht darüber nachgedacht hat, welche Nachteile für sie eintreten werden und könnten, kann man nun glücklicherweise gar nicht mehr darauf eingehen. Was man nicht weiß, macht einen schließlich nicht heiß. Am besten geht man davon aus, dass es Mitarbeitern völlig egal ist, welchen Neuerungen sie sich zu stellen haben, wie und womit sie die vorgegebenen Ziele erreichen sollen, welche Nachteile das für sie bedeuten könnte, auf welchen Rückhalt sie sich seitens des Managements verlassen können, kurz wie man sich im Top-Management „ihre Situation da unten“ so vorstellt. Spaß soll der Spot machen, weil die Mitarbeiter so gerne Spaß an ihrer Arbeit haben. Und keinerlei Verbindlichkeiten darf er wecken, auf die das Top-Management vom Betriebsrat oder dergleichen festgenagelt werden könnte.

Isolation

Spätestens an dieser Stelle ist noch anzuraten, dass man keinesfalls glauben darf, dass Veränderungen oder Neuerungen per se Instabilität in die Organisation bringen und auf Widerstände stoßen können. Man darf sich auch von niemandem einreden lassen, dass das Vertrauen der Mitarbeiter in das Top-Management wichtig ist. Am besten stellt man sich vor, dass ihre wahrscheinlichste Reaktion Begeisterung und höchste Motivation sein wird. Mitarbeiter betrachtet man am besten wie Roboter, die keinerlei soziale Verbindungen nach innen und außen haben, also weder Familienmitgliedern, noch Partnern, Freunden, Verwandten, Bekannten und Kollegen etwas darüber erzählen können, wie man in ihrem Unternehmen führt. Schon gar nicht darf man annehmen, dass solche Informationen bei den Kunden und beim Mitbewerb landen könnten. Man betrachte einfach alles, was ab jetzt passiert, als absolut isolierten Faktor, der keinerlei Einfluss auf andere Faktoren hat.

Es wird alles ganz einfach

Die Schwierigkeiten, die erzielt werden sollten, sind nun mit Sicherheit eingeleitet. Die Aufmerksamkeit der Belegschaft wird nun nur noch bestenfalls bruchteilhaft bei den Interessen des Unternehmens liegen, sie liegt nun vor allem bei ihren eigenen Interessen. Sie ist nun mit sich selbst beschäftigt, jeder Einzelne mit sich, die Einzelnen miteinander, die Führungskräfte mit den Einzelnen und Gruppen. Wenn es blöd hergeht, könnte es aber auch passieren, dass sie die neuen Vorgaben von oben schlicht und einfach nicht ernst nehmen und einfach weiter wie bisher ihrer Arbeit nachgehen, als gäbe es keine neuen Ziele. Das macht nichts. Denn zu diesem Zeitpunkt kann es gut möglich sein, dass man im Top-Management gar nicht mehr weiß, weshalb man die aktuellen Ziele gesetzt hat und erreichen wollte, weil man schon vor neuen Problemen steht.

Und jetzt der Mitbewerb

Wenn alles gut geht, wird man bald erfahren, dass einen der Mitbewerb uneinholbar überholt hat. Vielleicht durch einen Medienbericht, der von begeisterten Kunden spricht und Manager erklären lässt, dass das Erreichen solcher Innovationen zwar komplex und fordernd ist, aber mit sorgfältig entwickelten Strategien, Entscheidungen und motivierten, hochqualifizierten Leuten – wie man sieht – durchaus möglich. Was der Mitbewerb macht, kann man dann kopieren. Es wird trotzdem nicht erfolgreich sein, weil man vor dem Kopieren ziemlich viel kapiert von dem haben muss, was man kopiert, womit man sich aber der Einfachheit halber erst nicht beschäftigt hat und beschäftigen wird. Nun wird die Welt ganz einfach und vorhersagbar: Es wird nichts mehr gelingen, man muss seinen Kopf daher erst recht nicht anstrengen.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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