Wie kreiert man ein Erfolgsmodell?

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Management im Kopf: Folge 114. Komplexität meistern: Strategien und die vollständige Lagebeurteilung

Mit der Künstlichen Intelligenz und Robotik gewinnen Algorithmen an Prominenz. Solche Patentrezepte für das Lösen von Aufgaben und Problemen sind auch im Management höchst beliebt. Doch an komplexen Umständen scheitern sie. Sie zu meistern verlangt nach Strategien und Heuristiken, die quasi im Inkubator der Digitalen Ära zu finden sind: in den Originalquellen einiger Systemwissenschaften. Ab Folge 111 ihrer Kolumne stellt Maria Pruckner verlässliche Strategien und Heuristiken vor.

Mit einer guten Strategie bündelt man die Kräfte auf das Nutzen der höchsten Erfolgschancen. So viel kann man unabhängig davon sagen, worauf sich eine Strategie bezieht. So weit, so einfach. Weniger einfach ist es, den wichtigen Grundsatz der vollständigen Lagebeurteilung zu erfüllen: Sammle genug relevante Information, bevor du irgendetwas beurteilst und entscheidest. Weil die Welt unfassbar komplex, dynamisch und instabil geworden ist, muss man heutzutage genau wissen, in welchem System man agiert, um herauszufinden, wie man agieren muss. Die wichtigsten Fragen zur Aufklärung für eine vollständige Lagebeurteilung.

Aufklärung

„Aufklärung“ – darunter versteht man das Aufklären oder Erklären von allen möglichen Sachverhalten, aber auch die Epoche etwa vom 17. Bis ins 18. Jahrhundert, in der das rationale Denken und Problemlösen mit tauglichem Wissen zwecks Fortschritt in Mode kam. Für die weitest mögliche Aufklärung zur Strategieentwicklung geht es um alle diese Bedeutungen. Herausfinden und verstehen, wie die Lage ist und wodurch sie sich so gestaltet. Das ist unter ziemlich stabilen Verhältnissen nicht so schwer. Anders sieht das auf vielen Gebieten und in vieler Hinsicht heute durch die enorme Informationsdichte und Veränderungsrate aus. Beides verlangt die laufende Beobachtung, das genaue Studium und die fundierte Untersuchung ganzer Systeme.

Henne oder Ei?

Aus komplexen Verhältnissen kann man alles Mögliche herauslesen und in sie hineininterpretieren. All das kann plausibel oder gar überzeugend klingen, sich gut anhören oder cool anfühlen. Trotzdem kann es in die Irrgärten all der Cargo-Kulte führen, die außer temporärer Beruhigung oder Begeisterung nichts bringen. Komplexe Verhältnisse lassen sich erst sinnvoll beurteilen, wenn man danach fragt, was von ihnen für das Erfüllen bestimmter Zwecke und Erreichen bestimmter Ziele zu erwarten ist. Am Anfang einer Lagebeurteilung stehen daher abstrakte Zwecke und Ziele. Zum Beispiel: Bestimmte Engpässe von Kunden lösen, um genug Geld zu verdienen. Durch das Beurteilen der Lage entsteht ein klareres Bild von den Umständen, die für und gegen Erfolge durch eine bestimmte Vorgehensweise sprechen. Daraus lassen sich dann konkrete Zwecke und Ziele ableiten, die man am besten verfolgt. In einer Unternehmensstrategie wird dann festgelegt, welche Engpässe welcher Kunden wie gelöst werden müssen (=Zwecke) und was dafür gewonnen werden muss (=Ziele).

Erfolgs- und Risikofaktoren

Eine Strategie bezieht sich immer auf einen Erfolg. Für eine kluge Strategie überlegt man jedoch sehr genau, welche konkrete Art von Erfolg am erstrebenswertesten ist. Denn Erfolg entsteht immer in einem komplexen Wirkgefüge. Viele Einflussgrößen eines Systems beugen sich nicht willig der eigenen Strategie. Sie spielen quasi ihr eigenes Spielchen. Einerseits entstehen sie aus den Regeln und Interessen im jeweiligen Umfeld, andererseits durch Gesetzmäßigkeiten, die wir nur der Natur komplexer Systeme zuschreiben können. Das macht es gar nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht, sich für einen bestimmten Erfolg zu entscheiden.

Welchen Erfolg hätten Sie denn gern?

Jeder Erfolg hat auch seinen Preis. Nicht nur den Aufwand, den man für ihn einsetzt. Auch die nicht erwünschten Begleitwirkungen, die durch eine Strategie und ihre Ergebnisse entstehen, können in vieler Hinsicht zu teuer kommen. Man denke an den Abgasskandal in der deutschen Autoindustrie. Oder an einen Kläger, der um der Gerechtigkeit willen bis zur obersten Instanz läuft und dann doch leer ausgeht, weil er Recht mit Gerechtigkeit gleichgesetzt und sein ganzes Vermögen vergeblich investiert hat. Um welchen Preis will man Erfolg haben? Das ist eine wichtige Frage. Wer zum Beispiel am besten und liebsten allein arbeitet, muss sich sehr genau überlegen, ob er eine Strategie wählt, die früher oder später dazu führt, dass er Mitarbeiter einstellen muss.

Wie lange möchten Sie erfolgreich sein?

Es ist nicht sonderlich schwer, kurzfristige Erfolge einzuheimsen. Dafür braucht man aber keine Strategie. Dafür reicht auch hemmungsloser Opportunismus. Wer aber länger oder gar auf Dauer ernst genommen werden möchte und nicht als Blender oder Stümper dastehen, muss sich genau überlegen, in welchem System genau er wie agieren muss. Egal, worauf sich eine Strategie bezieht, die Fragen sind: In welchem System möchte und in welchem muss man sich bewegen? Was gehört zu diesem System? Wie ist es gebaut? Wie funktioniert es? Wie passt man in dieses System hinein? Was muss man tun, um dem System zu nutzen? Was braucht man vom System, um erfolgreich sein zu können? Wie kann man dies gewinnen? Ist all das realistisch?

Ein Bild vom System

Systeme stehen oder liegen nicht einfach in der Welt herum. Die ganze Welt ist, wie wir heute deutlicher denn je bemerken, ein einziges System. Das Subsystem herauszufinden, in dem man Erfolg haben kann, verlangt, jene Ausschnitte in der Welt zu finden, die ihn erlauben aber auch verhindern können. Profis generieren dafür einerseits strukturelle Systemmodelle, die aufzeigen, aus welchen Elementen ein System wie organisiert ist. Andererseits fertigen sie Funktionsmodelle an, die aufzeigen, wie ein solches Wirkgefüge funktioniert. In Funktionsmodellen kann man die Regelkreise von Wechselwirkungen darstellen und die Art von kybernetischen(!) Feedbacks, die auftreten. Um noch besseren Überblick zu bekommen, teilt man ein System Ebene für Ebene in drei interagierende Grundelemente: in eine operierende Einheit, in die Umgebung, mit der diese Einheit Austauschbeziehungen pflegt und in die Phänomene, welche die Vorgänge in diesen Austauschbeziehungen steuern und regulieren.

Plausibilität

In einer Zeit so hoher Dynamik wie heute ist es zwangsläufig konfliktreich, sich auf eine Strategie festzulegen. Besonders, wenn man die Plausibilität seiner Erfolgsaussichten nur auf Variablen setzt, die stimmen können, aber nicht unbedingt zutreffen müssen. Sicherer wird man, wenn man seine Strategie auf verlässlichen Fakten aufbaut. Sie zu sammeln, macht viel Arbeit. Jene Tatsachen zu berücksichtigen, die einem nicht gefallen, verlangt eine gewisse Reife. Sie kompetent zu prüfen bzw. prüfen zu lassen, verlangt vor allem echte Expertise. Bis man an einem System bestimmte konstante Muster erkennt, die man systemwissenschaftlich verlässlich auswerten kann, um sich aus belastbaren Gründen für oder gegen etwas zu entscheiden, müssen die Veränderungen von  Variablen meist einem längeren oder gar permanenten Monitoring unterzogen werden. Eine weniger aufwändige, aber auch weniger hilfreiche Alternative ist die dynamische Simulation. Bei dieser zeigt man anhand digitaler Systemmodelle, wie sich das Verändern eines Faktors auf das ganze System auswirken könnte. So kann man sich verschiedenste Szenarien bewusst machen. Wie auch immer: Jede Strategie wird nur so gut funktionieren, so gut die Modelle sind, die man sich von Systemen gemacht hat.

Verlässliche Konstanten

Ziemlich easy entstehen gute Strategien, wenn man sie auf den verlässlichen Konstanten aufbaut, die in jedem System immer und überall vorhanden sind. Sie und deren Wirkweisen wurden und werden im Rahmen der Systemwissenschaften erforscht und beschrieben. Die Verlässlichsten habe ich in dieser Kolumne bereits mehrfach vorgestellt. Sie alle beziehen sich (im persönlichen und übertragenen Sinn) auf ein langfristiges gesundheitliches, soziales und wirtschaftliches Überleben sowie auf die Fähigkeit, sich mit den Veränderungen in seiner Umgebung erfolgreich weiterzuentwickeln. Diese Konstanten sind sozusagen die Designprinzipien für jede langfristige Erfolgsstrategie.

Ethik

So vielversprechend die Konstanten komplexer Systeme sind, ihre enormen Kräfte klug zu nutzen, hat ebenfalls einen Preis. Komplexe Systeme aller Art sind von Natur aus auf Kooperation programmiert. Jede langfristige Strategie baut daher auf einem „gesunden Anstand“ auf, wörtlich auf das, was aus gesundheitlichen Gründen in jeder Hinsicht ansteht. Was ist notwendig, um nicht nur sich selbst, sondern ein ganzes System erfolgreich und lebensfähig zu machen? Gewinnmaximierung auf Kosten anderer und den Verzicht auf nötige Investitionen etwa gehen auf Dauer nie gut. Selbstverständlich kann man zum Beispiel über Jahre Mitarbeiter über jede Leistungsgrenze treiben. Man muss dann aber auch die Folgen des gesundheitlichen und unternehmerischen Burnouts in Kauf nehmen, den Umstand, dass auf diesem Weg keine großen Innovationen entstehen und auch nicht die Anpassungsfähigkeit an größere Umwälzungen, wie wir sie heute erleben.

Selbstbild

Ein wesentliches Element des Ganzen einer Lagebeurteilung ist daher auch das Bild, das man von sich selbst hat. So faktengerecht das Bild von der Umgebung sein muss, mit der man in Austauschbeziehungen steht, so treffend muss auch das Selbstbild sein. Man vermeide also auch hier jede Über-, Unter- und Fehleinschätzung. Der nüchterne, unbeteiligte und vor allem professionelle Blick von außen kann hier am hilfreichsten sein, sofern man solche Inputs auch mit allen nötigen Konsequenzen aufnimmt.

Fähigkeiten

Wozu ist ein System fähig? Das ist die zentrale Frage für jede langfristig erfolgreiche Strategie. Wozu ist meine Umgebung als System fähig und wozu keinesfalls? Hier geht es um die metasystemische Lage, also um die systemischen Phänomene, die auf Emergenz zurückzuführen sind. Wozu ist A, B, C bis X, Y und Z in der Umgebung fähig? Was können diese einzelnen Elemente? Was können sie unmöglich tun? Diese Fragen stehen auf der Sachebene und beide Fragen stehen auf der einen Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen die Fragen, die sich auf das Selbstbild beziehen: Wozu ist die eigene Einheit fähig? Wozu ist sie unmöglich imstande? Was können die einzelnen Teile dieser Einheit? Was können sie keinesfalls? Wo liegen die eigenen einzigartigen oder zumindest seltenen Stärken? Wo liegen ihre Tücken und Fallen?

Eine ermutigende Analogie

Ja, es sind eine Menge schwierige und heikle Fragen, die für eine vollständige Lagebeurteilung zu berücksichtigen sind. Aber werfen Sie doch zum Beispiel einen Blick auf all unsere Ärzte. Sie stellen und lösen solche Fragen tagtäglich Patient für Patient. Sie haben im Grunde nur mit Professionalität zu tun. Diese braucht es heute überall und immer. Sie ist es, die einen strategisch am weitesten bringt. Dafür haben die Väter der Aufklärung gekämpft. Dafür müssen wir heute mehr denn je weiterkämpfen.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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