Konstanten, die festen Säulen jeder Strategie

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Management im Kopf: Folge 117. Komplexität meistern: Über die Bedeutung von universellen Gesetzmäßigkeiten und Pseudogesetzen.

Mit der Künstlichen Intelligenz und Robotik gewinnen Algorithmen an Prominenz. Solche Patentrezepte für das Lösen von Aufgaben und Problemen sind auch im Management höchst beliebt. Doch an komplexen Umständen scheitern sie. Sie zu meistern verlangt nach Strategien und Heuristiken, die quasi im Inkubator der Digitalen Ära zu finden sind: in den Originalquellen einiger Systemwissenschaften. Ab Folge 111 ihrer Kolumne stellt Maria Pruckner verlässliche Strategien und Heuristiken vor.

Was haben Schlagwörter wie Volatilität, Agilität, Ambiguität, Disruption und so weiter gemeinsam? Sie alle nehmen Bezug auf hohe Komplexität und Dynamik. Sie weisen auf eine hohe Veränderungsrate hin. Es geht um Zustände, wie man sie von unruhigen Meeren kennt. Alles verändert sich ununterbrochen, oft plötzlicher und markanter als abzusehen war, oft langsamer und subtiler, als man es mitbekommt. In der Seefahrt fand man schon vor langer Zeit Konstanten, mit deren Hilfe man trotz hoher Instabilität seine Ziele ohne Irrwege ansteuern kann. Himmelsrichtungen, Stand der Gestirne und so weiter. Solche Konstanten kennen wir auch in Sachen Problemlösen und Management in einer immer komplexeren Arbeitswelt. Es ist aber noch immer nicht modern, sich auf solche zu stützen. Dennoch sind sie sehr leicht zu finden, wenn man sich nicht am Mainstream sondern an seriösen Wissenschaften, insbesondere den Systemwissenschaften orientiert.

Strategie als Konstante

Im Beitrag von letzter Woche verglich ich die Funktion einer guten Strategie mit einer langen Leine. Die Leine (= Strategie) stellt eine fixe Verbindung, also eine Konstante zwischen einem Ziel und jenen her, die es verfolgen. Sie hilft, sich nicht zu weit vom Ziel zu entfernen und das Ziel nicht aus dem Sinn zu verlieren. Versucht man ohne geeignete Strategie mit komplex-dynamischen Situationen fertig zu werden, wird man bald wie ein kleines Boot vom unruhigen Meer durch die Gegend getrieben, irgendwohin oder man kentert. Denn ohne geeignete Strategie kann das Hirn Wichtiges nicht von Unwichtigem und Wirksames nicht von Unwirksamem und Kontraproduktivem unterscheiden.

Gesetzmäßigkeiten der Natur

Mit einem Ziel, seinem Verfolger und einer guten Strategie hat man schon mal drei Konstanten. Betont habe ich im jüngsten Beitrag auch, dass eine gute Strategie keinen konkreten Pfad vorgibt, auf denen man Ziele erreicht. Sie schließt viel eher wirkungslose und kontraproduktive Aktionen aus. Und: Dass eine gute Strategie aus den passenden Antworten auf die Frage erzeugt wird, weshalb sich jemand/etwas, bei allen Möglichkeiten, wie er/es sich verhalten könnte, ausgerechnet so verhält, wie er/es sich verhält. Orientiert man sich bei der Suche nach Antworten an Gesetzmäßigkeiten der Natur, die immer und überall auftreten, hat man weitere Konstanten, durch die eine Strategie besonders hilfreich wird. Es macht einen großen Unterschied, ob man etwa für einen Flug über einen Ozean auf das physikalische Gesetz der Schwer- bzw. Fliehkraft setzt, oder auf eine bescheidenere Alternative, zum Beispiel das Motto „niemals aufgeben“.  Dann käme man vielleicht nie in die Luft oder fiele schnell wieder herunter. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, aufzugeben als weiterzumachen. Aber es gibt keine natürliche Situation auf der Erde, in der die Schwerkraft ausbleibt.

Sympathische Gesetze

Menschen mögen Gesetze, zumindest die, die sie selber erlassen. Das ist ganz natürlich. Alles, was den Charakter der Unumstößlichkeit hat, gibt bei aller Instabilität eben Stabilität. Aber nicht jedes Gesetz ist unumstößlich. In der Justiz kann man schlechte Gesetze ändern oder ganz abschaffen. Mit Naturgesetzen geht das nicht. Sie kann man zwar in Abrede stellen, unwirksam macht man sie damit nicht. Es gibt aber Vieles, was wie ein Gesetz formuliert ist, jedoch keineswegs einer allgemein gültigen Gesetzmäßigkeit oder zumindest einer für einen bestimmten Kontext entspricht. Ein gutes Beispiel dafür sind die als Parkinsons Gesetze bekannten Beobachtungen von Cyril Northcote Parkinson in Zusammenhang mit Wirtschaft und Verwaltung.

Gesetzgeber sorgfältig prüfen

Cyril N. Parkinson lebte von 1909 bis 1993. Er wurde dafür berühmt, dass er überbordende Bürokratie mit einer gewissen Ironie entlarvt hat. Seine Kritik formulierte er wie Naturgesetze. Die Sammlung seiner „Gesetze“ sind als Parkinsonsche Gesetze bekannt, sie gelten als Wirtschaftsklassiker. Vielleicht hat dieser Herr Parkinson seine Gesetze gar nicht so ernst genommen wie seine Leser. Die folgenden Beispiele könnten das glauben machen. Man nehme jedenfalls nicht alles, was wie ein Gesetz formuliert ist, ungeprüft hin und sehe sich die jeweiligen Gesetzgeber sehr genau an, bevor man sich ihren Ordnungsvorstellungen unterwirft.

Arbeit ist wie Gummi?

„Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Das behauptet Cyril N. Parkinson mit seinem vielleicht berühmtesten Gesetz. Er hat aber fast nur Verwaltungsbeamte beobachtet und nur in seiner Zeit. Hätte er etwa auch einen Blick auf Polizisten, Feuerwehrleute, Krankenschwestern oder Ärzte geworfen, hätte er einen anderen Eindruck gewonnen. In diesen Berufen wusste man noch nie, wann der nächste Verbrecher gefasst, das nächste Feuer gelöscht oder dem nächsten Akutfall das Leben gerettet werden muss. Wer genug Erfahrung mit dem eigenverantwortlichen Problemlösen und Arbeiten in solch hyper-komplex-dynamischen Umgebungen hat, der hat für jede Arbeit immer nur so viel Zeit, wie er braucht, um sie rasch und exakt zu erledigen. Weil er nie weiß, wann und woher die nächste nicht verschiebbare Arbeit kommt, kommt er gar nicht auf die Idee, etwas unnötig in die Länge zu ziehen. Er versucht viel mehr, sich durch zügiges Arbeiten zwischendurch kurze Pausen oder einen Spielraum für Arbeiten zu verschaffen, die nicht zwingend sofort aber dennoch erledigt werden müssen. Zum Beispiel „Verwaltungskram“.

Alle wollen nach oben?

Ein weiteres Gesetz von C. N. Parkinson besagt: „Jeder Angestellte wünscht, die Zahl seiner Untergebenen, nicht jedoch die Zahl seiner Rivalen zu vergrößern.“ Was ist mit den viel erwähnten angestellten Frauen, die auf nicht auf Führungspositionen versessen sind, weil sie in ihrem Leben andere Prioritäten, zum Beispiel das Großziehen ihrer Kinder verfolgen? Was ist mit angestellten Männern, die nicht führen wollen, weil sie das System, das sie führen sollen, so gut kennen, dass sie wissen, dass ein Führungsjob dort einem besser bezahlten Martyrium gleicht? Was ist mit den vielen Leuten, die ihre Kollegen nicht als Rivalen betrachten, sondern als Partner oder auch nur als Leute, mit denen man am besten gut auskommt? Kann dieses Parkinsongesetz als unzulässige Verallgemeinerung gelten?

Sind alle still, die sich nicht auskennen?

Noch ein drittes Parkinsongesetz: „Die auf einen Tagesordnungspunkt verwendete Zeit ist umgekehrt proportional zu den jeweiligen Kosten.“ Nach Parkinson werde zum Beispiel über den Einsatz von Toilettenpapier viel länger diskutiert als über den Ankauf einer millionenschweren innovativen technischen Anlage, weil alle Diskussionsteilnehmer zu Toilettenpapier weitaus mehr zu sagen hätten als zum Beispiel zu Quantencomputern. Der Historiker und Soziologe Parkinson geht also von der Vorannahme aus, Menschen würden den Mund halten, wenn sie sich bei einem Thema nicht auskennen. Dieses Benehmen gehört zwar zum klassischen Knigge. Aber es ist alles andere als ein Naturgesetz, dass jeder Mensch nur über jene Dinge spricht, die er gut genug versteht. Oder?

Ein Namensvetter

Es gab da noch einen anderen berühmten Herrn namens Parkinson. Der hieß James und war Arzt. Gelebt hat er von 1755 bis 1824. James Parkinson hat das Krankheitsbild der Schüttellähmung beschrieben, und zwar so gut, dass man dieses spezielle Nervenleiden sehr gut von allen anderen unterscheiden und infolge nach wirksamen Abhilfen suchen konnte. Die feinsten Unterscheidungen sind es nämlich, auf die es bei komplexen Problemen ankommt. Deshalb benannte man die Schüttellähmung später nach ihm als „Morbus Parkinson“. Diese Krankheit geht mit dem Absterben von Nervenzellen einher, die für das Herstellen des Glückshormons Dopamin wichtig sind. Hier kommt es zuerst zu Bewegungsarmut und zu einem Maskengesicht. Zu leisem und undeutlichem Sprechen und zum Nachlassen der Geschicklichkeit. Begleitet wird das von Muskelsteifigkeit, Dauerzittern und Problemen mit der aufrechten Körperhaltung. Heute kann man sagen, alle Menschen, die diese Symptome zeigen, haben dasselbe Problem, das mit denselben Strategien behandelt, wenn auch noch nicht ganz geheilt werden kann. Der Arzt Parkinson hat damit solide wissenschaftliche Arbeit vorgelegt und keine ironische Beschreibung häufiger Verhaltensmuster.

Wozu Pseudogesetze gut sind

Was hilft es, wenn man Pseudogesetze formuliert, die keine Allgemeingültigkeit haben? Es hilft, so beschriebene Probleme erst gar nicht lösen oder vermeiden zu wollen. Denn gegen Naturgesetze kann man schließlich nicht an. Es hilft als Ausrede. Es hilft, sich in Sachen Führung und Management nicht kompetent machen zu müssen. Denn die Probleme, die der Verwaltungskritiker Parkinson schildert, kommen unter professionellem Management erst gar nicht auf.

Wenn man überfordert ist…

Wenn man durch hochdynamische Komplexität überfordert ist, kommt es übrigens zu einem Absinken des Glückshormons Dopamin. Man ist dann alles andere als glücklich. Man bewegt sich dann nicht gut und schnell genug mit den Veränderungen in den Umgebungen mit; heute sagt man, man ist dann nicht agil. Um sich nicht anmerken zu lassen, dass man nicht klarkommt, setzt man ein Maskengesicht auf. Man spricht eine undeutliche Sprache, um sich aus jeder Aussage wieder herausmogeln zu können. Weil man so viel mit murksen und mogeln beschäftigt ist, verliert man zunehmend an Geschicklichkeit. Weil man so nur Chaos aufbaut, wird man mit der Zeit vor Angst steif und kann nicht mehr aufhören, zu zittern.  Man verliert den sicheren aufrechten Gang. Das ist dann nicht Morbus Parkinson. Das ist dann nur eine ironische Beschreibung häufiger Verhaltensmuster...  😉

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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