Die Reduktion der Ungewissheit

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Management im Kopf: Folge 118. Komplexität meistern: Strategie. Den Informationsmangel anstatt der Komplexität reduzieren!

Mit der Künstlichen Intelligenz und Robotik gewinnen Algorithmen an Prominenz. Solche Patentrezepte für das Lösen von Aufgaben und Problemen sind auch im Management höchst beliebt. Doch an komplexen Umständen scheitern sie. Sie zu meistern verlangt nach Strategien und Heuristiken, die quasi im Inkubator der Digitalen Ära zu finden sind: in den Originalquellen einiger Systemwissenschaften. Ab Folge 111 ihrer Kolumne stellt Maria Pruckner verlässliche Strategien und Heuristiken vor.

Mit einer guten Strategie bündelt man die vorhandenen Ressourcen, um komplexe Situationen in geringster Zeit mit geringstem Aufwand nachhaltig zu meistern. Drei typische Merkmale komplexer Verhältnisse machen strategisch die größten Schwierigkeiten. Erstens Informationsmangel, weil die hohe Informationsdichte das menschliche Gehirn überfordert. Zweitens zu rasche Veränderung, weil die hohe Dynamik hohes Adaptionsvermögen erfordert. Und drittens nur wenig Zeit, weil sich die Eigendynamiken komplexer Systeme allemal rascher durchsetzen können als die eigene Strategie. Ob man eine gute Strategie für nötig erachtet und ob man eine solche entwickelt, hängt davon ab, was man sich unter komplexen Umständen vorstellt.

Wie reduziert man Ungewissheit?

Für die Väter der Systemwissenschaften gab es nur die reale Komplexität: die tatsächlichen Wirkkomplexe und Wirkweisen in den Verbindungen und Vorgängen der einzelnen Elemente. Komplexe Systeme können viel, viel mehr als einfache Systeme. Darin liegt der Fortschritt. Die vorhandene Komplexität zu reduzieren, hat sie daher nie interessiert. Zu einfachen Systemen werden komplexe erst, wenn man sie zerstört. Deshalb hatten sie etwas völlig anderes im Sinn: Die Reduktion der Ungewissheit. Denn der Erfolg von Strategien hängt davon ab, mit welchen Gewissheiten man operieren kann.

Vorstellungen

Manche Leute glauben, es gebe nur die Wirklichkeit, die sie wahrnehmen. „Komplex“ ist für sie zu viel von etwas. Andere glauben, es gäbe je nach Wahrnehmung, Denken und Handeln viele verschiedene Wirklichkeiten. „Komplex“ bedeutet für sie viele Möglichkeiten. Eine dritte Gruppe interpretiert Situationen mit bestimmten Theorien; wirklich ist für sie, was in einer mehr oder weniger anerkannten Lehre gilt. „Komplex“ ist für sie, was einer bestimmten Definition entspricht. Die vierte Gruppe orientiert sich als Konstanten vor allem an validen systemwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. „Komplex“ ist für sie, was die Eigenschaften komplexer Systeme aufweist, die in den Systemwissenschaften beschrieben werden.

Konfliktreich

Dank Hirnforschung und Neurowissenschaften wissen wir heute besser denn je: Die Wirklichkeiten in den Köpfen sind nie repräsentativ für die Realität außerhalb ihrer Haut. Was passiert, wenn auf eine einzige Realität mit verschiedenen Auffassungen reagiert wird, kann man gut im Internet beobachten. Mit seiner Hilfe ist es so einfach wie noch nie, seine Meinung zu äußern, nie zuvor blieb sie für so lange Zeit für andere präsent. Es entsteht die Gefahr der Desorientierung, des Konflikts und der Eskalation. Wie also geht man mit hoher Meinungsvielfalt am besten um? Man braucht eine geeignete Strategie, die gute Aussichten, verlässliche Orientierung und ein ausreichendes Maß an Gewissheit gibt, die keine leere Versprechung sein darf.

Erfolgsrelevanz

Das Lösen von komplexen Aufgaben und Problemen ist immer eine Systemfrage, nie eine von Meinungen. Die Frage ist daher, was man sich unter einem System vorstellt. Ich empfehle folgende Vorstellung: Ein System ist eine kognitive Entscheidung über die Wirkzusammenhänge, die man für die Erklärung einer Situation aus der größeren Einheit „Realität“ als verantwortliche Einheit heranzieht. Ein System ist also ein geistiges Konstrukt, eine Kopfgeburt. Eine wirksame Strategie muss dazu geeignet sein, eine Situation in einer bestimmten Form zu verändern. Dafür muss sie alles enthalten, was für einen Erfolg relevant ist und damit auch für jeden möglichen Misserfolg. Was das ist, findet man nur heraus, wenn man ein faktisches ganzes relevantes System im Auge hat.

MEIN-ungen

Schon das Wort „Meinung“ deutet darauf hin, dass es hier um Selbstbezüglichkeiten geht. Die Wahrnehmung und Auffassung von etwas hat viel mehr damit zu tun, was man wie beobachtet, als mit dem, was beobachtet wird. Damit haben Anfangs des 20. Jahrhunderts die Väter der Quantenphysik verblüfft. Heinz von Foerster, Physiker, Mitbegründer der Kybernetik und glücklicherweise mein langjähriger Lehrer, zog daraus die Konsequenzen. Er diagnostizierte dieses Problem als Grundproblem im Umgang mit komplexen Systemen.

Das Beobachtete und seine Beobachter

Heinz von Foerster traf die bedeutsame Unterscheidung zwischen Steuerungs- und Regulierungsphänomenen einer Kybernetik Erster und Zweiter Ordnung, und ordnete deren Beziehung in einem evolutionären Regelkreis. Hier die Probleme von beobachteten Systemen. Da die Probleme von beobachtenden Systemen. In einer Rückkoppelung deren Lösungen, die wieder zu Systemen werden, die beobachtet werden können. Erst mit dieser Betrachtungsweise wurde die ursprüngliche, stark auf die Technik ausgerichtete Kybernetik auch für das Lösen geistiger, menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Probleme äußerst hilfreich. Seither ist die Kybernetik nicht nur für die Informatik, Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz von großem Nutzen, sondern auch für das Management und alle weiteren Fachgebiete.

Das Beobachter-Problem in der Strategie

Das erfolgreiche Lösen von komplexen Aufgaben und Problemen setzt voraus, dass man seine Aufmerksamkeit auf das fokussiert, was real und für das Erzielen des Erfolgs relevant ist. Und dass durch das Beurteilen des Relevanten eine Entscheidung herauskommt, die zum Erfolg führt. Man muss also zutreffende Problem-Diagnosen stellen können, die damit verbundenen Prognosen ableiten und auf iterativem Weg eine erfolgreiche Behandlung durchziehen. Zumal man bei komplexen Umständen nie vorweg wissen kann, wie die einzelnen Maßnahmen jeweils wirken werden, zumal man vorweg nie sicher sein kann, ob man die passende Diagnose und Prognose gestellt hat. Klappt das mit jeder Geisteshaltung?

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Für Leute, die glauben, es gebe nur die Wirklichkeit, die sie wahrnehmen, ist eine Strategie wie eine Form, mit der man Kekse aussticht. Sie suchen nach Schablonen, ahmen irgendwen Erfolgreichen oder irgendetwas Erfolgreiches nach. Gewiss ist für sie, was der Schablone entspricht. Ob sie für die Situation passt, beachten sie nicht. Ihnen fehlen die Kriterien, dies beurteilen zu können. Die Wirklichkeitsausschnitte, die sie mitbekommen, liegen daher oft weit neben der Realität. Bittere Überraschungen sind damit für sie programmiert, nicht selten provozieren sie diese selbst.

Phantasten

Für Leute, die glauben, es gäbe viele Wirklichkeiten, je nachdem, was man von einer Situation wahrnimmt, wie man darüber denkt und auf sie reagiert, ist die Wirklichkeit virtuell. Sie halten alles für möglich, mit einer Fähigkeit zum magischen Denken von Kleinkindern. Wo alles möglich ist, ist nichts gewiss und das Mögliche unmöglich vorhersagbar. Solche Leute nehmen ein höheres Ausmaß an Komplexität wahr als existiert. Komplexität ist ihr Lieblingsthema, bei jedem Misserfolg nutzen sie es als Ausrede. Sie können sich weder für eine bestimmte Strategie entscheiden, noch eine solche konsequent durchziehen. Sie folgen nur ihren spontanen Eindrücken und Ideen. Erfolg haben sie nur durch andere oder den Zufall.

Paradigmatiker

Leute, die Situationen mit bestimmten Theorien behandeln, setzen strategisch auf Bekanntes und Bewährtes, arbeiten quasi nach Rezept. Entspricht dies einer fachlich anerkannten Lehre, und wird dies auch auf das dazu passende Problem angewandt, ist das in der Regel einigermaßen fruchtbar. Allerdings begleitet von ziemlichen Turbulenzen und allerdings nie innovativ. Fällt die eingesetzte Lehre eher in die esoterische oder ideologische Ecke, wird es heikel. Denn komplexen Systemen ist egal, was man glaubt. Sie ticken wie sie ticken, niemand kann das ändern. Kein Problem, wenn ein Paradigmatiker zur vierten Gruppe gehört.

Intelligente Faule

Leute, die sich an validen systemwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten orientieren, fahren immer eine Doppelstrategie. Einerseits eine Strategie zum Meistern des Beobachtungs- und Beobachterproblems, das sie selbst und die anderen darstellen. Andererseits zum Bewältigen der Aufgabe oder des Problems in ihrer Umgebung. Sie gehen davon aus, dass sie selbst und alles, womit sie arbeiten müssen, komplexe Systeme sind, die nach denselben Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Ihre Strategien basieren daher auf einer Metatheorie, die für all diese Probleme gilt: auf den Erkenntnissen aus den Systemwissenschaften, die sich als verlässlich herausgestellt haben. Sie fahren also mit einem Paradigma, das exakt auf komplexe Probleme und Systeme zugeschnitten ist. Für das Verstehen einzelner Systemkomponenten lernen sie von Paradigmatikern, die sich ebenso auf solide Lehren stützen. Auf dieser Basis erkennen sie nicht nur das Tatsächliche, sondern auch das tatsächlich Mögliche und Machbare. Deshalb kommen die nachhaltigen Erfolge und großen Innovationen von heute aus dieser Ecke.

Innerhalb oder außerhalb des Systems?

Die Vertreter der ersten drei Gruppen betrachten die Situation, in der sie agieren, als etwas außerhalb von sich, auch die Ungewissheit, die sie belastet (mit Ausnahme der Paradigmatiker, die zur vierten Gruppe gehören). Die Intelligenten Faulen sehen das völlig anders. Sie betrachten sich als einen Teil der Situation, des Systems, des Problems und damit sehen sie auch die Ungewissheit als ein Problem in ihrem eigenen Gehirn. Für sie geht es darum, herauszufinden, wie sie die relevanten Informationen gewinnen können. Um eine bestimmte Situation in einer bestimmten Form zu verändern, verändern sie daher zuerst etwas an sich selbst – zum Beispiel ihren Fokus, ihr Beobachten, Denken, Lernen, Urteilen, Entscheiden und Handeln. Haben Sie es einmal ausprobiert, wie stark sich Situationen verändern, wenn man etwas an oder bei sich selbst verändert? Da entstehen plötzlich Gewissheiten in Dingen, die zuvor völlig ungewiss waren und Veränderungen, die man für unmöglich hielt…

Was haben 

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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