Zukunftsorientierung?

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Management im Kopf: Folge 120. Komplexität meistern: Strategie. Was vorhersagbar ist.

Mit der Künstlichen Intelligenz und Robotik gewinnen Algorithmen an Prominenz. Solche Patentrezepte für das Lösen von Aufgaben und Problemen sind auch im Management höchst beliebt. Doch an komplexen Umständen scheitern sie. Sie zu meistern verlangt nach Strategien und Heuristiken, die quasi im Inkubator der Digitalen Ära zu finden sind: in den Originalquellen einiger Systemwissenschaften. Ab Folge 111 ihrer Kolumne stellt Maria Pruckner verlässliche Strategien und Heuristiken vor.

Strategie und Zukunft verhalten sich zueinander wie angehende Eltern und ihre noch nicht gezeugten Kinder. Der Mensch möchte Zukunft. Sofern er nicht komplett resigniert hat. Obwohl er gar nicht so genau wissen kann, wie sie sein wird. Die Zukunft ist fast niemandem egal. Vergeht doch die Gegenwart so schnell, kommt doch die Vergangenheit nicht wieder. Muss man es schließlich in der Zukunft auch aushalten können. Seit Langem ist „Zukunftsorientierung“ ein beliebtes Schlagwort in der Politik. Aber was sagt es aus? Man orientiere sich an der noch nicht eingetretenen Zeit? An Erwartungen oder gar Hoffnungen? An etwas Unbekanntem, Ungewissem? Mit dem Unbestimmten hat man vielleicht kurzfristig in der Politik viel Erfolg. Für nachhaltige Strategien gibt es weit bessere Möglichkeiten. Nicht von ungefähr setzt man in der Kybernetik bei der Zweck- und Zielorientierung an. Das ist auch auf die Zukunft ausgerichtet, allerdings auf ihre konkrete Gestaltung. Was ist konkret genug, um sie tatsächlich gestalten zu können? Diesmal: Wie die Zukunft viel deutlicher wird.

Valide Theorien

Wir können zwar nicht wissen, was genau am nächsten Tag, in der nächsten Woche, im nächsten Monat, Jahr passieren wird. Aber wir haben trotz hoher Komplexität und Dynamik für unsere einzelnen Fragen und Aktionen eine ganze Menge verlässlicher Anhaltspunkte. Dank valider Theorien wissen wir von vielen Dingen, wie sie sich unter welchen Umständen verhalten werden. Bei einem Coitus zwischen einem Mann und einer Frau zum Beispiel, das wissen aufgeklärte Menschen, kann Nachwuchs entstehen. Mehr Beispiele braucht es wohl nicht. Nur eine Frage dazu: Weshalb sind dann trotzdem manche überrascht, wenn sich eine Schwangerschaft einstellt? Weil man nicht mit ihr gerechnet hat. Man hat etwas außer Kalkül gelassen, womit zu rechnen war. Womit also kann man rechnen?

Magie?

Kein Kind braucht je in einer Schule gewesen zu sein, um zu wissen, wie es sich zum Beispiel mit der Schwerkraft verhält. Der Schnuller, das Spielzeug oder sonst etwas – Sachen fallen hinunter, wenn man sie nicht fest genug hält oder wirft. Auch die Bezeichnungen und Bedeutungen anderer Gesetzmäßigkeiten muss man nicht wissen, um sie zu kennen. Krisen etwa kündigen sich mit gewissen Mustern an und laufen in solchen ab. Doch kennt man ein Phänomen nur, hat aber keine valide Theorie dafür, neigt man zu Erklärungen, die strategisch nicht weiterhelfen oder kontraproduktiv sind. Die Phänomene, die durch hohe Komplexität und Dynamik entstehen, haben zum Beispiel eine große Renaissance der Esoterik eingeleitet. Sie hat die strategisch wertvollen Potenziale der systemwissenschaftlichen Avantgarde, trotz aller Aufklärung, in der Gesellschaft verdrängt.

Die Avantgarde

Die Begründer der Kybernetik haben entschieden, komplexe Systeme zu erforschen, die Zwecke und Ziele verfolgen. Sie erforschten also Systeme, die ihrer Zukunft nicht einfach nur entgegenvegetieren, sondern die eine bestimmte(!) Zukunft anstreben und dafür Strategien entwickeln müssen. Weshalb haben sie nicht entschieden, zukunftsorientierte Systeme zu erforschen? Damit wären sie doch in der Öffentlichkeit viel besser angekommen. Weshalb entschieden sie sich für ihren Forschungsrahmen ausgerechnet für die Zweck- und Zielorientierung? Wie kamen sie dazu und was half ihnen das?

Das Gemeinsame am Unterschiedlichen

In den Systemwissenschaften interessiert das Gemeinsame am Unterschiedlichen. Was haben zum Beispiel alle biologischen, technischen, sozialen und soziotechnischen Systeme gemeinsam? Ein Frosch am Teichufer? Eine Fliege? Eine FLAK-Batterie?  Ein Mensch? Eine Metallwarenfabrik? Eine Stabstelle für Strategie? Ein CEO eines Finanzdienstleistungsunternehmens? Seine Belegschaft? Die Stadt Wien? Die EU? Europa? Usw.? Sie alle brauchen etwas aus ihrer Umgebung, um existieren zu können und sie geben etwas an ihre Umgebung ab. Sie stecken in Austauschbeziehungen, und sie verfolgen Zwecke und Ziele. Es gibt aber noch mehr Gemeinsamkeiten, die strategisch von großer Bedeutung sind. Die meisten beziehen sich auf diese Austauschbeziehungen.

Professor Frosch

Norbert Wiener unter anderem, genialer Mathematiker und prominenter Mitbegründer der Kybernetik, war im Zuge des II. Weltkriegs gefragt, bessere Flugabwehrsysteme zu entwickeln. Die FLAK-Batterien hatten zu große Probleme damit, erfolgreich auf feindliche Objekte in der Luft zu zielen, auf sich bewegende Ziele also. Sie suchten nach einer verlässlichen Methode zur Vorausberechnung, um feindliche Fluggeräte erfolgreich genug ansteuern zu können. Wiener war auch Biologe. Er nahm sich als Lehrmeister einen Frosch. Frösche erweisen sich ziemlich gut darin, fliegende Insekten zu erwischen. Weil Flugabwehrsysteme und Frösche im Prinzip dasselbe machen, fragte sich Wiener, wie ein Frosch zu seiner Vorhersage kommt, wann die Fliege wo sein wird und er in welche Richtung wie schnell losspringen muss, um sie zu schnappen.

Rückkoppelungen oder Feedback

Wie sieht die Austauschbeziehung zwischen Frosch und Fliege aus? Norbert Wiener entwickelte die Idee, dass es zwischen Frosch und Fliege so etwas wie "Rückkopplungen" geben musste, die dem Frosch helfen, das Flugverhalten der Fliege zu berechnen. Das Beobachten des Frosches wird durch seinen Hunger und sein Interesse an der Fliege gesteuert. Die Fliege wiederum steuert durch ihr Flugverhalten, was der Frosch beobachtet. Ändert sie ihre Flugrichtung, ändert der Frosch seine Blickrichtung. Was sowohl der Frosch als auch die Fliege will, ist, zu überleben, so wie Soldaten im Krieg. Wie aber ermittelt der Frosch die zukünftige Position der Fliege? Machen wir es kurz: Wiener entwickelte eine Berechnungsmethode zwecks Flugabwehr, die auf Rückkoppelungen basierte. So weit ich informiert bin, haben das FLAK-Problem andere unkomplizierter als er gelöst. Aber seine Einsicht, dass Rückkoppelungen für das Erreichen von Zielen entscheidend sind, sollte zu den fundamentalsten Erkenntnissen für das Problemlösen bei komplexen Verhältnissen werden: die Basis für die IT, Automatisierung, Robotik, moderne Wissenschaft, valide universelle Managementlehren, usw.

System Dynamics

Zum Gemeinsamen aller komplexen Systeme und deren Subeinheiten gehört also, dass sie alle in Austauschbeziehungen stecken und damit in einer Abhängigkeit von einer gewissen Umgebung. Auch die Subeinheiten komplexer Systeme sind in sich aus solchen Beziehungen aufgebaut. Organisiert sind sie durch Rückkoppelungen, also in Kreisläufen von Wechselwirkungen, in denen auf Rückwirkungen wiederum Rückwirkungen eintreten. Um 1930 herum kannte man bereits das über einige Jahrzehnte erforschte System-Phänomen der Homöostase: Dynamische Systeme streben in ihren Austauschbeziehungen einen Gleichgewichtszustand durch innere Regulierungsprozesse an. Das Unterscheiden bestimmter Feedback-Arten erlaubte (ab etwa Mitte des 20. Jahrhunderts) die Vorhersage, wie sich die Dynamik in Austauschbeziehungen unter welchen Umständen entwickelt. Das war die Geburtsstunde der System-Dynamics, einem weiteren systemwissenschaftlichen Ansatz, der sich auf die Vorausschau möglicher Systemdynamiken konzentriert.

Modellierung und Simulation

Seither können wir mit ausgeklügelten Methoden mögliche Entwicklungen in Austauschbeziehungen modellieren und simulieren. Mögliche Zustände in der Zukunft werden anhand der Fragen eruiert: Wie verändert sich das ganze System, wenn man eine Veränderung im System vornimmt? Kommt es oder was kommt in ein Gleich- oder Ungleichgewicht?“ Für System-Modellierungen geht man von einer bestimmten Zweck- und Zielsetzung aus. Man stellt die dafür relevanten Subeinheiten mit ihren Austauschbeziehungen als System-Modell dar. Die potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten untersucht man anhand bestimmter Feedback-Qualitäten.  Dafür unterscheidet man vor allem sogenanntes Negatives und Positives Feedback. Negatives Feedback tritt ein, wenn es in einer Austauschbeziehung durch einen erforderlichen Ausgleich oder eine notwendige Korrektur zu einem Gleichgewichtszustand kommt. Von Positivem Feedback spricht man, wenn durch eine Rückwirkung ein bestehender Zustand verstärkt wird. Das Gesetz der Homöostase besagt: Wenn in einem System mehr Positives als Negatives Feedback auftritt, gerät ein es in eine Krisensituation, die ohne geeignete Korrektur zu einem Ungleichgewicht führt, durch welches das System zusammenbricht.

Klare Sicht

Es gehört zu den wichtigsten Eigenschaften komplexer Systeme, dass ihre Zukunft von Natur aus nicht vorhersagbar ist. So wie es zu den Eigenschaften von Regen gehört, dass er nass, weil aus Wasser ist. Aber man kann einen Regenschirm benutzen, um nicht nass zu werden. In diesem Sinne können wir allein schon mit diesen wenigen Parametern und Konstanten vorhersehen, ob etwas unverändert bleibt, besser oder schlechter wird.  Man muss über günstige oder ungünstige Entwicklungen nicht mehr überrascht sein. Man muss nur die Dynamik ganzer Systeme im Auge haben, und zwar laufend, weil sie sich laufend verändern. So wie man in der Medizin Kranke laufend im Auge hat, weil ihr Zustand dynamisch und nicht statisch ist. Das beginnt damit, das omnipräsente Missverständnis mit Feedback abzubauen und die systemwissenschaftliche Bedeutung zu übernehmen. Dann weiß man das Wichtigste für eine gute Strategie: Wie man ungünstige Entwicklungen vermeidet und günstige unterstützt. Details dazu finden sie in allen früheren Beiträgen. Welche weiteren System-Konstanten eine noch bessere Voraussicht erlauben, folgt in den nächsten.

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

(Maria Pruckner)

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