Darf es „ein Stück weit“ mehr sein?

Warum „ein bisschen“ nach wenig klingt und trotzdem ehrlich ist.

Es klingt nicht berauschend, wenn sich Partner in Verhandlungen „ein bisschen“ angenähert haben. Wer „ein Stück weit“ weitergekommen ist, feiert zwar inhaltlich keinen größeren Erfolg, wirkt aber gleich viel optimistischer. Reframing nennen das die Experten, und alle Beteiligten fühlen sich besser. Auch wenn niemand weiß, wofür in der „Ein Stück weit“-Phrase dieses „weit“ stehen soll.

Es stimmt schon, die Synonyme „ein wenig“ und „teilweise“ hören sich eben nach wenig an. Ein „Stück“ ist scheinbar mehr: Es könnte sich um ein schönes Stück handeln oder, weil es so klein und daher eine Zumutung ist, um ein starkes Stück. Letztlich bleibt es „ein bisschen“. Oder würde ein Wurstverkäufer jemals sagen: „Darf es ein Stück weit mehr sein?“

Deutsche Politiker haben die „Ein Stück weit“-Inflation ausgelöst. Einer von ihnen sagte über den Rücktritt des früheren deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler: „Ich bin mehr als überrascht und auch ein Stück weit betroffen.“ Also auch das geht.

Doch zurück zum Verhandeln. Wer „ein Stück weit“ gekommen ist, sollte das große Ganze nicht aus den Augen verlieren. Sonst bleibt am Ende nichts als – ein Stückwerk.

E-Mails an: michael.koettritsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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