Als ich lernte, den Virus zu lieben

Warum beim viralen Seeden jeder schnell vom Opfer zum Täter wird.

Es gibt fleißige und faule Sprechblasen. Die fleißigen verschleiern, was sie aussagen wollen, und bauen Wortungetüme auf. Die faulen machen sich nicht einmal diese Mühe: Sie sagen, was Sache ist. Viral seeden ist so eine faule Sprechblase.
Wie ein Virus sollen sich die Saatkörner der Werbe- bzw. Marketing-Botschaften eines Unternehmens ausbreiten. Ähnlich der Mundpropaganda sollen Konsumenten animiert werden, Informationen über Produkte und Dienstleistungen untereinander weiterzugeben. Nur dass es beim viralen Seeden über elektronische Kanäle wie Social Media funktioniert. Das Ziel ist klar: die exponentielle Verbreitung von Werbeinformationen.
Früher einmal, da waren Viren das Böse schlechthin. Medizinern schlotterten die Knie, Netzwerkadministratoren stand der Angstschweiß auf der Stirn. Die Opfer bezahlten mit dem (Daten-)Tod. Nur die Pharmaindustrie und die Virenschutzprogrammierer verdienten an den Viren. Jetzt ist das anders. Inhalte werden geliked und geteilt, den Viren wird bei ihrer Verbreitung gleichsam der rote Teppich ausgerollt. Aus den Opfern, die gestern noch über die Viren geklagt haben, sind heute Täter geworden.

E-Mails an: michael.koettritsch@diepresse.com

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