Mut zum gesunden Misstrauen

Warum ein Glaserl Sturm und die Vertrauenskultur vieles verbindet.

Es gibt Dinge, die sind sicher. Etwa: Im Herbst gibt es Sturm. Nicht so sicher ist, ob das Sturmglas nach dem ersten Schluck halb voll oder halb leer ist. Beim Geschmack ist alles unsicher, er ist nicht messbar.

Beim Vertrauen ist das ähnlich. Trotzdem heißt es in Unternehmen inflationär „Ich vertraue dir“ oder „Ich vertraue dir diese Aufgabe an“. Diese Sprechblase geht leicht über die Lippen, sie gibt Sender wie Empfänger ein gutes Gefühl. Doch kaum jemand weiß, was Vertrauen ist – es ist ja nicht messbar. Dabei ist klar: Es resultiert aus verlässlichem Verhalten. Garantie, dass gewährtes Vertrauen belohnt wird, gibt es nicht. Daher ist Vertrauen ohne Mut undenkbar: Wer vertraut, riskiert bewusst, enttäuscht zu werden.

Dennoch rühmen sich viele Unternehmen, die alles messen wollen, ihrer Vertrauenskultur. Sie findet sich oft in Visionen, Missionen und Wertkatalogen wieder. In der Umsetzung heißt es ebenso oft, dass jede Kleinigkeit von höchster Ebene abgesegnet werden muss. Auch das ist gelebte Vertrauenskultur. Das Wort sagt ja nichts darüber aus, wie groß das Vertrauen ist. Es ist so unsicher wie die Sache mit dem Sturmglas, das voller oder leerer ist. Sicher ist nur der seltsame Nachgeschmack.

E-Mails an: michael.koettritsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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