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Geliebte Wörter: sammelband und wimmelbook

Wunderbare Wimmelbücher gibt es etwa von Rotraut Susanne Berner.
Wunderbare Wimmelbücher gibt es etwa von Rotraut Susanne Berner.(c) Gerstenberg
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Oft sind Ausländer die größten Fans deutscher Wörter: Sie lassen uns deren Klang neu entdecken.

Jer Thorp, ein kanadischer Künstler, der derzeit in den USA lebt, lud kürzlich über Twitter dazu ein, ihm kuriose oder reizvolle Wörter zu nennen, die mit dem Bibliothekswesen zu tun haben. Unter den Antworten, die ihm am besten gefielen, waren auch zwei aus dem Deutschen ins Englische gewanderte Wörter: wimmelbook und sammelband.

Möglicherweise wird eines davon ja in das Kunstwerk Eingang finden, das Thorp gerade vorbereitet: als Abschluss seiner Zeit als Innovator in Residence in der Library of Congress, wo Thorp an den digitalen Beständen der Bibliothek arbeitet. Aber was könnte gerade an wimmelbook und sammelband so reizvoll sein? Die lautliche Ähnlichkeit deutet darauf hin, dass es mit dem Klang zu tun hat. Die Abfolge von m, l und b hat ja auch etwas reizvoll Brabbelndes. Ein russischer Blogger schwärmte aber ebenfalls kürzlich vom Wort „Sammelband“, das er gerade entdeckt habe – es klinge so angenehm, und überdies sei es inhaltlich so treffend. Im Englischen begegnet einem „Sammelband“ oder der Plural „Sammelbände“ bzw. „Sammelbands“ in vielen Fachtexten, über englische Manuskripte der Renaissance wie heutige Publikationen.

Das Gefühl, dass ein fremdsprachiges Wort in der eigenen Sprache „fehlt“, kennt wohl jeder. Wörter wandern ins Ausland ein, weil ihr Klang gefällt, weil das, was sie bezeichnen, im betreffenden Land früher nicht bekannt war, oder weil das Bezeichnete mit einem Land oder dessen Sprachbenutzern besonders verbunden wird. So haben sich in England wanderlust und wunderkind, in Dänemark die Liebhabervilla, in Finnland das Kaffeeklatsching, in Neuseeland das fingerspitzengefuel und in Italien die Realpolitik eingebürgert. So hörte man im Suaheli kaputti für tot und halbkaputti für bewusstlos, so sagten Polen Wieheisster, wo wir Dingsbums sagen würden. Und so wird ausgerechnet eine der größten Tugenden beim Schachspiel, das „Sitzfleisch“, im Parade-Schachland Russland mit einem deutschen Ausdruck bezeichnet. Warum? Weil vor dem Zweiten Weltkrieg die größten Schachspieler noch deutschsprachig waren.

Ein Deutscher, Ali Mitgutsch, erfand in den Sechzigern auch das Wimmelbilderbuch. „Rundherum in meiner Stadt“ wurde ein Welterfolg. Bis heute wird das Genre im Englischen „wimmelbilderbuch“ oder „wimmelbook“ genannt. Ganz selten findet man auch noch „the wuselbild“. Das war der deutsche Vorgänger des „Wimmelbildes“. Auch hübsch.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2017)

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