Theologie

Muss man den Text des Vaterunser ändern?

Der Papst wünscht sich einen lichten Gott.
Der Papst wünscht sich einen lichten Gott.(c) imago/Pacific Press Agency (Giuseppe Ciccia)
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„Führe uns nicht in Versuchung“ sei keine gute Übersetzung, sagt der Papst - besser wäre „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Muss man die Worte so wählen, „dass das Gottesbild nicht verdunkelt wird“?

Bei der Redaktion des Vaterunser habe sich offenbar die Innung der Bäcker gegen jene der Weinbauern durchgesetzt, scherzte Toni Faber, der leutselige Dompfarrer von St. Stephan, unlängst bei einer Weintaufe im Wiener Lokal Panigl: So sei in diesem Gebet vom täglichen Brot die Rede und nicht vom täglichen Wein . . .

Danach sprachen freilich alle Gäste, ob mehr oder weniger fromm, das Gebet, das uns der Herr gelehrt hat. Und zwar unisono: Hier gibt es – anders als im Glaubensbekenntnis, wo die Katholiken sich zur „heiligen katholischen Kirche“ bekennen und die Protestanten zur „heiligen christlichen Kirche“ – keine Unterschiede im Wortlaut zwischen den Konfessionen.

Natürlich gibt es immer wieder kleine Änderungen, auch rhythmisch relevante, etwa von „geheiliget“ auf „geheiligt“. Und wer weiß, wie lange sich die heute schwer verständlichen „Schuldiger“ noch halten. In einer beeindruckenden, derzeit im Salzburger Museum der Moderne gezeigten Installation von Norbert Brunner und Michael Schuster kann man in Tonbandaufnahmen aus Nord- und Südtiroler Gemeinden aus den Jahren 1979 und 1999 hören, wie dort das Vaterunser gebetet wurde. Und etwa entdecken, dass man in St. Franz im Fersental 1979 noch „Erlöse uns von dem Übel“ sagte. (Bei der Aufnahme 1999 sprach man das Vaterunser dort auf Italienisch.)

Und wie war das mit Abraham?

Doch die gemeinsamen Worte sind für Gläubige wichtig, und so mag etliche irritiert haben, was Papst Franziskus im italienischen TV gesagt hat: „Führe uns nicht in Versuchung“, sei keine gute Übersetzung, besser wäre „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Denn es sei „nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürzt, um dann zuzusehen, wie er fällt. Ein Vater tut so etwas nicht; ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

Dieses quasi manichäische Argument, das die alte Theodizeefrage neu aufrührt, ist theologisch zumindest diskutabel. Besonders scharf kritisierte es die „FAZ“ unter dem Titel „Heilige Einfalt“. „Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die Weisheit seines höchsten Repräsentanten“, schreibt Jürgen Kaube und fragt: „Wie möchte Papst Franziskus die Geschichte mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse verstehen, von dessen Früchten zu essen Gott dem ersten Paar, jenem ersten ,uns‘, verbot? Lag in diesem Verbot keine Versuchung? Wer hat Abraham befohlen, seinen Sohn Isaak zu opfern? Auch der Satan?“

Zu seinen Aussagen inspiriert wurde Franziskus wohl durch die französischsprachigen Bischöfe. Sie haben bereits im Juni eine Modifikation des „Nôtre Père“ beschlossen, die seit dem ersten Adventsonntag in Kraft ist. Statt „Et ne nous soumets pas à la tentation“ beten die Katholiken nun „Et ne nous laisse pas entrer en tentation“, also: Lass uns nicht in Versuchung treten. Hier wird also das Bild eines Gottes, der uns aktiv Versuchungen aussetzt, ersetzt durch eines, in dem er die Versuchung nur zulässt, ungefähr wie im „Faust“, wo er Mephisto erlaubt, den Herrn Doktor „meine Straße sacht zu führen“. Allerdings: Das Wort „soumettre“ klingt schärfer als z. B. das deutsche „führen“, es bedeutet auch Unterwerfung.

Die Versuchung Jesu in der Wüste

Man könne, ja: müsse die Worte im Vaterunser so erklären, „dass das Gottesbild nicht verdunkelt wird“, sagte dazu der Regensburger Bischof, Rudolf Voderholzer. Doch er warnte vor einer „Verfälschung der Worte Jesu“. Auch Jesuitenpater Klaus Mertes plädierte gegen Veränderung des Gebetes. Die gängige Übersetzung entspreche dem griechischen Text und dem Gottesbild im Neuen Testament. So werde in allen drei synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) Jesus „vom Geist in die Wüste geführt, damit er dort versucht wird“, gemeint sei der Geist Gottes.

Auf Altgriechisch heißt die Zeile: „kai me eisenenkes hemas eis peirasmon“, das Wort „peirasmos“ wurde z. B. von Luther an manchen Stellen (etwa im Vaterunser) als Versuchung, an anderen als Anfechtung übersetzt, wobei womöglich weniger die Bedeutung mitschwingt, dass Gott einen auf die Probe stellen will. Der Aorist Konjunktiv „eisenenkes“ gehört zum Verb „eisphero“, und das heißt einfach so viel wie hineinbringen, -tragen, -führen. Die in manchen Freikirchen gängige Version „Führe uns in der Versuchung“ scheitert schon daran. (Abgesehen davon, dass dann die Verneinung fehlt.)

Auf Aramäisch? Nicht überliefert!

Derzeit durchs Internet geisternde Ableitungen vom Verb „eiseimi“ (hineingehen) überzeugen genauso wenig wie die Behauptung, auf Aramäisch – also der Sprache, die Jesus meist sprach – müsse die Zeile anders geheißen haben. „Wir werden also den griechischen Text als das Gebet Jesu nehmen müssen“, sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf: „Mir scheint es nicht sinnvoll, das Gottesbild weichzuspülen und alles wegzustreichen, was ich nicht verstehe.“ Auch die evangelische Theologin (und Ex-Bischöfin) Margot Käßmann plädiert dafür, „das Vaterunser so zu belassen, wie es ist. Wenn wir anfangen, Änderungen zu diskutieren, gibt es unzählige Kommissionen, Vorschläge, Auseinandersetzungen.“ Gefinkelter argumentiert Kohlgraf: „Allein, dass über ein Gebet so diskutiert wird wie derzeit, spricht dafür, die Übersetzung zu belassen.“ Und den Wein lassen wir auch draußen . . .

ZUM GEBET

Das Vaterunser ist das wichtigste Gebet der Christen, sie beten es in so gut wie jedem Gottesdienst und führen es auf Jesus selbst zurück. Es kommt in zwei der vier Evangelien vor.

Bei Lukas (Kapitel 11) sagt Jesus es auf die Aufforderung eines Jüngers: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ Diese Version gilt als die ältere, ursprünglich fehlten bei Lukas die Zeilen „Dein Wille geschehe“ und „sondern erlöse uns von dem Bösen“.

Auf Matthäus (Kapitel 6) beruht die in der Liturgie verwendete Version. Sie steht in der Bergpredigt, nach der Mahnung, man möge beim Beten „nicht viel plappern wie die Heiden“. Gleich nach dem Vaterunser folgt eine nähere Erläuterung der Bitte „Und vergib uns unsere Schuld“. Die Doxologie („Denn dein ist das Reich . . .“) steht nur bei Matthäus, in den ältesten Handschriften fehlt sie aber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2017)

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