Venedig: Im Zeichen von Religion und Liebe

Venedig Zeichen Religion Liebe
Venedig Zeichen Religion Liebe(c) EPA (CLAUDIO ONORATI)
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Nach geheimnisumwitterten Dreharbeiten: Die neuen Filme von Terrence Malick und Paul Thomas Anderson überraschen - und doch auch wieder nicht.

Zwei der spannendsten Premieren der heurigen Filmmostra sorgten am Wochenende für Überraschungen – und eigentlich auch wieder nicht. Denn obwohl Andersons „The Master“ und Malicks „To the Wonder“ keineswegs so geworden sind, wie vorher lange spekuliert wurde, sind beide Filme doch ziemlich genau so ausgefallen, wie man es von ihren Regisseuren erwarten musste. Wilde Gerüchte umgaben die Genese des neuen Projekts von US-Regisseur Paul Thomas Anderson: Er hatte zuletzt im Historienepos „There Will Be Blood“ versucht, ein filmisches Äquivalent zur Great American Novel zu schaffen: der Aufstieg und Fall eines US-Ölbarons als monumentale Studie des zerrissenen Charakters der Nation zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Auch in „The Master“ geht es um eine überlebensgroße Figur und die psychologischen Wirren einer Epoche: Philip Seymour Hoffman spielt einen Sektengründer, dessen Glücksversprechen nach dem Zweiten Weltkrieg auf offene Ohren stoßen.

Die Dreharbeiten waren geheimnisumwittert: Durchgesickert war, dass ein Exposé von L. Ron Hubbard und Scientology im Entstehen sei. Trotz gewisser Ähnlichkeiten ist der kuriose Kult von „The Master“ aber nicht das, was Anderson interessiert: Vielmehr erzählt er eine Art Liebesgeschichte zwischen zwei Männern – dem von Hoffman mit Verve verkörperten, wortgewandten Guru und dem Kriegsheimkehrer Freddie (Joaquin Phoenix). Überraschend an „The Master“ ist, dass er über weite Strecken zur absurden Komödie tendiert. Anfangs baut sich Freddie betrunken am Strand eine Sandfrau und simuliert unter Beifall Sex mit ihr. Später blickt er durch schwere Lieder auf eine Tanzveranstaltung – und im Gegenschnitt sind plötzlich alle Frauen im Bild nackt, während sie weiterfeiern und -musizieren.

Alkohol und Freddies physischer Einsatz sind überhaupt die Triebfedern des Films: Seine Begabung im Cocktailmischen (Geheimzutat: Farbverdünner) weckt erst das Interesse des Meisters am Nichtstuer Freddie. Im Lauf des Films werden die geschmeidigen, absurden Versprechungen des Sektenführers immer wieder von Freddies Ausbrüchen begleitet. In einer typischen Blickfangszene werden beide in angrenzende Gefängniszellen geworfen: Links tobt Freddie minutenlang, schlägt den Kopf aufs Bett, zertrümmert die Toilette, rechts bleibt der Guru seelenruhig stehen und redet beruhigend auf seinen Jünger ein.

„The Master“ wird zusehends langatmig

Anderson will eine Abfolge von solchen Szenen, die man im Englischen „Showstopper“ nennt: Momente, die dem Zuseher den Atem verschlagen sollen. Trotz aufgeblasener Bildsprache – Anderson hat sogar im seltenen 70-mm-Format gedreht – wird „The Master“ aber zusehends langatmig, weil seine fahrigen Episoden wenig Entwicklung zu bieten haben, hat man erst die These von der Verführbarkeit durch Autorität verstanden. Denn das entscheidende Verhältnis der Hauptfiguren gewinnt kaum an Tiefe: Mit einem charakteristischerweise etwas zu oberschlauen Kunstgriff stellt Anderson dabei eben nicht den „Master“ ins Zentrum (sein zunehmender Erfolg bleibt unerklärt), sondern den erratischen, letztlich ungreifbaren Freddie. Die Figur soll etwas Geisterhaftes haben, aber die spirituelle Dimension will sich nicht einstellen, vielleicht sogar beabsichtigterweise. Der bewegendste Moment bleibt so Hoffmans unerwartete A-cappella-Darbietung des Songs „Slow Boat to China“ für Freddie. Buchstäblich ein Showstopper.

„To The Wonder“: Starke Bilder

Ein reines Fließen erzeugt dagegen Terrence Malick in seiner Liebesgeschichte „To the Wonder“. Auch diese Produktion war (wie immer bei dem Regie-Einzelgänger) geheimnisumwittert; am Ende hat Malick eine ganze Reihe seiner Stars einfach herausgeschnitten, etwa Rachel Weisz und Jessica Chastain. Ben Affleck spielt zwar eine Hauptfigur, sagt aber kaum einen Satz als Liebhaber, dem die Intimität schwerfällt. Malick konzentriert sich auf die Folgen für dessen Geliebte (Olga Kurylenko), folgt ihr und einer Handvoll weiterer Figuren (sehr gut: Javier Bardem als zweifelnder Priester) durch wogende Weizenfelder und entlang endloser Straßen.

Noch stärker als in „Tree of Life“ verlässt sich Malick fast völlig aufs Bild: Bewusstseinsstrom-Schnittfolgen, die nicht nur das Physische extrem spürbar machen, sondern auch das Metaphysische wollen. Statt der bis zur Weltentstehung zurückreichenden Grandiosität des Vorgängerfilms belässt es Malick diesmal aber beim Intimen. Eher als „The Master“ ist er bisher der herausragende Wettbewerbsbeitrag neben „Paradies: Glaube“ vom Österreicher Ulrich Seidl. Alle drei Filme eint ein erstaunlicher Formwille und das Themenspektrum – das heurige Festival steht ganz im Zeichen von Religion und Liebe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2012)

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