"Cloud Atlas": Kino wie Provinzfasching mit Lady Gaga

Cloud Atlas Kino Provinzfasching
Cloud Atlas Kino Provinzfasching(c) Warner (Jay Maidment)
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Die Geschwister Wachowski haben sich mit Tom Tykwer an die Verfilmung von David Mitchells Buch gewagt. Ein größenwahnsinniges Humanismusprojekt, in dem der Mensch auf der Strecke bleibt. Ab Freitag im Kino.

Das dritte Buch des eigenbrötlerischen Briten David Mitchell ist ein literarisches Monstrum: „Cloud Atlas“ wurde geboren aus einer Gedankenwelt, die keine Lust hat, sich an die Illusionen von zeitlicher, räumlicher und ideeller Logik und Vernunft zu halten und stattdessen einen Mahlstrom aus Kunstsprachen, Kunstgriffen und Kunstwelten durchs Leserhirn schickt.

Insofern ist „Cloud Atlas“ perfekt für Hollywoods Synthetik-Philosophen Lana und Andy Wachowski: Die zeigen in Allianz mit dem deutschen Vorzeigeregisseur Tom Tykwer, wie sich so ein schwer verfilmbarer Roman doch umsetzen lässt. Sechs Erzählstränge, vom 19. bis ins 24. Jahrhundert: Die Eroberung einer Pazifikinsel durch die britische Seemacht mit folgender Unterdrückung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung markiert den Anfang, der Kampf einfacher Bauern gegen marodierende, bedrohlich geschminkte Barbaren in einer postapokalyptischen Primitivgesellschaft das Ende der Erzählbewegung. Die universalistisch-humanistische Stoßrichtung des Mammutprojekts lässt sich daraus schon ableiten: Es geht um den ewigen Kampf des Einzelnen um Freiheit und Selbstbestimmung, um die Verwertung menschlicher Körper und Arbeitskraft, um Unterdrückung und Auflehnung.

Akteure wechseln Kostüm und Geschlecht

So wie sich die Leitmotive und Symbolwelten spiegeln und wiederholen, so tauchen die Schauspieler in diversen Kostümen und Arrangements in allen Kapiteln auf. Tom Hanks, in Hollywood längst als formbarer, schwammiger Tausendsassa etabliert, dominiert den Film in einem halben Dutzend irrwitziger Erscheinungsformen. Nicht nur Zahnprothesen, Frisuren und Kostüme werden gewechselt, auch Ethnien und Geschlechter. Hugo Weaving darf Hanks als satanisches Monstrum durch die Postapokalypse scheuchen und taucht in der Gegenwart als sadistische Krankenschwester auf, während sich Halle Berry im Blaxploitation-Stil durch die 1970er-Jahre kämpft und in einer synthetisierten Zukunftsstadt plötzlich als Asiate durchgeht. Oft wirkt „Cloud Atlas“ dabei wie die Provinzfaschingsvariation eines Lady-Gaga-Konzerts: ein unfreiwillig komisches, bisweilen lächerliches Kostümfest mit bekannten Gesichtern. Verbunden werden die Episoden nicht nur durch den Universalismus der Erzählidee, sondern auch über ein Muttermal, das alle Hauptfiguren durch die Epochen teilen: Laut Romanautor David Mitchell lässt es auf die Reinkarnation einer Seele in verschiedenen Körpern schließen.

Es ist also alles im Fluss in „Cloud Atlas“. Umso mehr freut man sich, wenn einzelne Handlungsglieder in sich Sinn ergeben. Etwa wenn ein junger Mann (Ben Whishaw) einem alternden Komponisten zu neuen Höhenflügen verhilft, dann seine eigene Komposition gegen den Lehrmeister verteidigen muss – bis Schüsse fallen und Leben enden. Oder wenn ein Dienstleistungsklon (wunderschön: Doona Bae) plötzlich Selbstbewusstsein entwickelt und von seinen Schöpfern gejagt wird. „Cloud Atlas“ muss man vielleicht nicht als komplettes Erlebnis sehen, sondern als kreatives Stückwerk. Dafür spricht auch, dass die Wachowskis und Tykwer sich die Regie der jeweiligen Episoden aufgeteilt haben.

Erstaunlich ernüchterndes Ergebnis

Ästhetisch und formal ist das Ergebnis erstaunlich ernüchternd: Produktionsdesign, Ausstattung und Kostüme erinnern eher an den professionellen Pragmatismus deutschsprachiger TV-Mehrteiler denn an detailverliebte Großproduktionen aus USA und Asien. Schnitt, Kamera, Ausleuchtung, selbst die teils spannende Filmmusik bleiben unauffällig: Als würden sich die Macher fürchten, die Exzentrik der Erzählung zu verstärken, den Film ganz außerirdisch werden zu lassen.

Selbst die Geschwister Wachowski, bekannt durch barocke Filmspektakel wie „The Matrix“ und das Meisterwerk „Speed Racer“, verwenden die Bilder nur mehr zur Illustration teils verstiegener und anspruchsvoller, teils plumper philosophischer und spiritueller Gedankenwelten. Alles soll und muss für etwas anderes einstehen: Die größte Leinwand ist gerade groß genug für diese megalomanische Anmaßung, die Welt und den Menschen darin zu erklären. Im Unterschied zur lyrischen Sinnsuche in Terrence Malicks „The Tree of Life“ ist der Mensch in „Cloud Atlas“ nur mehr ein Symbol unter vielen: beliebig veränderbar, durch die Geschichte fließend. So ist auch der Humanismus des Films eine glatte Lüge: Der Mensch spielt in „Cloud Atlas“ keine Rolle mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2012)

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