Alternative Weihnacht: Urzeitbiester und Whiskyräuber

Urzeitbiester Whiskyraeuber
Urzeitbiester Whiskyraeuber(c) By Ben Richardson
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Benh Zeitlins gefeiertes Debüt "Beats of the Southern Wild" und Ken Loachs stereotype Sozialkomödie "The Angels' Share" sind angelaufen.

Das Leben in der Badewanne ist in „Beasts of the Southern Wild“ pittoresker, als man sich das gemeinhin vorstellen würde: Denn „bathtub“ nennen die Bewohner ihre Heimat, eine überschwemmte Sumpflandschaft in Louisiana, deren malerische Verwüstung zur fantastischen Stimmung von Benh Zeitlins gefeiertem Debütfilm beiträgt.

Seit seiner „Sundance“-Premiere im Jänner ist der Film als Frischzellenkur für das US-Independentkino gefeiert worden, wenn nicht gar als Kinowunder. Sein magischer Realismus mag ansteckend sein, ganz so innovativ ist er aber nicht. Die Mischung aus lyrischer Assoziation und desolater Faszination erinnert an das Frühwerk von Terrence Malick und andere davon beeinflusste, erwachsene Kindergeschichten wie David Gordon Greens „George Washington“.

Als eine Art alternatives Weihnachtsmärchen liefert „Beasts of Southern Wild“ jedenfalls plausibles saisonales Gegenprogramm in den heimischen Kinos, obwohl die einzigen Schneebilder unvermittelte Visionen der Polarschmelze sind. Den Delta-Kindern im „Bathtub“ ist vom Lehrer erklärt worden, dass wegen der globalen Erwärmung die Apokalypse bevorsteht: „Y'all better learn how to survive now“. Woraufhin die Einwohner feiern: Die Cajun-Partylaune trägt wie der unvergessliche Schauplatz (samt seiner bemerkenswerten Fauna) zum fabelhaften Wesen von Zeitlins Film bei – Überlebenskampf als lebensbejahende Fantasy, gebaut um Laiendarsteller.

Alles Träume in der Zauberwelt?

Im Zentrum steht eine hinreißende Fünfjährige names Hushpuppy (Quvenzhané Wallis): Ihre kindlich-philosophischen Kommentare überschreiten öfters die Grenze von entzückend zu bemüht – wie auch der unablässige Musikeinsatz. Der Alltag einer Außenseiterkommune im Hochwassergebiet hinter dem Damm wird mit Kinderaugen zur mythologischen Bewährungsprobe: Plötzlich dahergaloppierende Urzeitbiester und naiver Zukunftsglaube, der Krankenhausaufenthalt ihres Alkoholikerpapas und der Abtransport der Gemeinschaft – alles Träume in der Zauberwelt? Als Hushpuppy mit anderen Findelkindern eine Odyssee Richtung Heimat unternimmt, landet die Gruppe im schwimmenden Bordell, wo die Freudenmädchen verträumt mit ihnen tanzen.

Vom Leben im Krisengebiet erzählt der Film trotz echter Elemente eher weltfern: fabuliert frei nach Animationskünstler Hayao Miyazaki, in einer verfallen(d)en Werner-Herzog-Welt. Man versteht den Vorwurf, Zeitlin würde die Hurrikan-Katrina-Trümmerlandschaft als libertären Wohlfühlspielplatz missbrauchen: Bei allem regionalen Charme ist der Film gerade als Verklärung einer Rückzugsgesellschaft zeitgemäß. In Elia Kazans Depressionszeit-Meisterstück „Wild River“ (1960) mit Montgomery Clift waren Krise, Dammbau und Landnahme noch konkrete Faktoren im sozialen Konflikt von Tradition und Moderne: Hier sind sie Hintergrund einer vagen allegorischen Behauptung.

Vordergründigkeit ist aber auch nicht immer ein Vorteil: Von jugendlicher Überambition zu altersschwacher Beiläufigkeit – und einer anderen Art von alternativem Weihnachtsmärchen. In „The Angels' Share – Ein Schluck für die Engel“ geben es der britische Regieveteran Ken Loach und sein Autor Paul Laverty gutgelaunt billig, um nicht zu sagen: nachlässig. Die Sozialfabel des Films funktioniert als vorhersehbare Komödie.

Die Vertreter der Unterklasse, zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert, entwickeln ein gemeinsames Faible für teuren Malt Whisky. Ein rares Fass vom Feinsten soll Sanierung durch unerlaubte Entnahme bringen: „Angels' Share“ ist die Bezeichnung für den Whisky-Anteil, der normal durch Verdunstung verloren geht – hier dient er als Schutzengel der Sozialverlierer.

Irritierenderweise setzt der auf Sozialrealismus abonnierte Regisseur in der ersten Hälfte auf Milieustereotypen an der Grenze zur Selbstparodie, der zweite Teil ist ein Raubzug-Lustspiel ohne besondere Spannung, dafür mit Klischeeschmäh (Kilt-Witze) und genereller Wendung ins Liebenswerte. Die windschiefe Balance genügt sich selbst, wenn auch nicht unbedingt gehobenen Ansprüchen. Auch hier könnte man thematisch passend darüber nachsinnen, wie es mit der britischen Sozialkomödie seit „Whisky Galore!“ (1949) bergab gegangen ist. Aber es ist die Jahreszeit des Vergebens...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2012)

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