63. Berlinale: Gewaltige Bilder, die nichts erzählen

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Zur Eröffnung der Filmfestspiele Berlin servierte der gefeierte Hongkong-Ästhet Wong Kar-Wai mit "The Grandmaster" eine Mischung aus atemberaubender Kampfkunst und öden Dialogszenen.

Es gibt Regisseure, die Filme entwickeln, umsetzen und irgendwann damit abschließen, innerlich wie äußerlich. Und dann gibt es Wong Kar-Wai: Der perfektionistisch gestimmte Formästhet des asiatischen Kinos ist bekannt dafür, sich derart in seine Stoffe und deren Umsetzung zu verbeißen, dass er bis zur letzten Minute an ihnen arbeitet. So war es schon 2004 mit seinem ätherischen Science-Fiction-Melodram „2046“. Und bei „The Grandmaster“, mit dem die Berlinale am Donnerstagabend eröffnet wurde, war es jetzt wieder so.

Der mehrfach ausgezeichnete, vielfach verehrte Hongkong-Chinese widmet sich in seinem eklektischen Mix aus Kampfkunst-Action und Melodram dem Sein und Wirken der Martial-Arts-Legende Ip Man. Der war nicht nur Lehrmeister von Bruce Lee, sondern hat den Kung-Fu-Stil des Wing Chun auf der ganzen Welt popularisiert. Eine biografische Abhandlung ist „The Grandmaster“ nicht: Wie der Filmtitel vermuten lässt, nähert Wong sich ihm mit aufrichtiger Faszination und Demut, ummantelt seine Geschichte mit einem Fluss an Bildern, die in den besten Momenten der transformativen Qualität seiner Kampfkunst ähneln, immer wieder aber auch gen Beliebigkeit driften.

Kampf um die Familienehre

Zeitlicher Ankerpunkt sind die 1930er: in der südchinesischen Stadt Foshan wird der einzelgängerische Ip Man (statuen- und meisterhaft: Tony Leung Chiu Wai) als jener Kämpfer bestimmt, der die Region im Duell gegen Meister Gong Baosen aus dem Norden vertreten soll. In der Konfrontation spiegeln sich die geopolitischen Spannungen im China dieser Zeit. Die drohende Teilung des Landes in Nord und Süd und die bevorstehende japanische Invasion wären ein reichhaltiger thematischer und emotionaler Nährboden für den Film: Wong begreift sie – wie alles andere auch – allerdings rein ästhetisch. Die Qualität, eine Geschichte abseits konventioneller dramaturgischer Koordinaten aufzuzäumen, hat Wongs Werk im Westen bekannt und beliebt gemacht: Er erzählt über Augen und ihre Blicke, über Körper und ihre Bewegungen, über Lichtsetzungen und Texturen. Insofern sind jene in der Bildmitte hängenden Texttafeln, die den Film immer wieder zeitlich und räumlich verorten, irritierend bei einem Regisseur, der kontinuierlich daran arbeitet, klassische Ideen von Zeit und Ort aufzulösen.

Die Geschichte pendelt dann auch munter zwischen mehreren Jahrzehnten umher, und kreist wie alle Filme Wong Kar-Wais um die Liebe. Als Ip Man und Gong Baosen die lange vorbereitete Konfrontation als philosophisches Streitgespräch endlich umsetzen und der alte Gong den jungen Kontrahenten zum Sieger erklärt, fordert Gongs Tochter (Zhang Ziyi) eine Revanche, um die Familienehre wiederherzustellen. Die aufkeimende Liebe zum Widersacher hebelt aber schnell sämtliche Kodizes aus und stellt eine neue Wahrheit in den Raum: die der Gefühle. „The Grandmaster“ ist immer dann atemberaubend, wenn die hyper-physische, hyper-texturierte Kampfchoreografie von Yuen Woo-Ping die Regie übernimmt: Eine verregnete Straße oder ein Bahnsteig samt vorbeirasendem Zug sind nur zwei der beeindruckenden Bühnen, auf denen kämpfende Körper kunstvoll tanzen und sich begegnen, bis die Knochen brechen.

Furiose Schnittrhythmen, unwirkliche Perspektiven inklusive auf der Seite liegenden und auf dem Kopf stehenden Bildern sowie die zwischen Klassik und treibenden Beats oszillierende Musik verbinden sich zu einer extrem filmischen Form. Bestünde der Film nur aus diesen Sequenzen, wäre „The Grandmaster“ ein Meisterwerk. Doch sobald die Figuren den Mund aufmachen, verfliegt der Zauber: Metaphernschwanger und sinnbildhaft sprechen sie aneinander vorbei und in den Bildraum hinein, als müssten sie all das Rambazamba philosophisch untermauern und gleichzeitig erklären.

Das funktioniert nicht: Wong Kar-Wais Film, der jahrelang im Produktionslimbo hing, bleibt ein Stückwerk, das verzweifelt um Gravitas ringt – ein bunter Reigen aus gewaltigen Bildern, der nichts zu erzählen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2013)

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