"Der rote Ballon": Eine kugelrunde Sache

Stadtkino
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Noch immer hinreißend, nicht nur für Kinder: „Der rote Ballon“.

Albert Lamorisses zauberhafter Film vom kugelrunden roten Ballon, der magisch den Schritten und Tritten eines kleinen Jungen (gespielt vom Sohn des Regisseurs, Pascal) durch Paris folgt, bezauberte schon damals nicht nur Kinder: Le ballon rouge gewann 1956 als bester Kurzfilm in Cannes und im Jahr darauf sogar einen ganz regulären Oscar – für das beste Originaldrehbuch.

Das belegt, was im Rückblick eine der außergewöhnlichsten Eigenschaften von Lamorisses Kleinod scheint: Sein elementares Drama und die Reinheit seiner Emotionen sprechen alle an, und wollen alle ansprechen. Schon darin unterscheidet sich Der rote Ballon deutlich von heutigen „Familienfilmen“, die meist so offensichtlich auf zwei getrennten Ebenen angelegt sind – ein Rest ursprünglicher Attraktionen für Kinder und darüber gestreut, meist in Form von popkulturellen Zitat-Witzen, der Versuch, auch die vermeintlich abgestumpften Erwachsenen ein wenig zu unterhalten.

Solcher Gebrauchszynismus war Lamorisse wesensfremd, dafür bürgt eingangs schon die charmante Danksagung: „Entstanden unter Mitwirkung der Kinder von Ménilmontant und der Ballons von Paris.“

Deren farbenfroher Auftritt ist das letzte, aber keineswegs das geringste Regenbogenwunder eines gewitzten Films, dessen Kunst auch darin liegt, nicht durch bemüht „Künstlerisches“ oder Herablassung, sondern durch universal Verständliches zu bewegen: Dialoge sind folgerichtig irrelevant (und praktisch inexistent), die Allgemeingültigkeit seiner Fabel wird vom üppigen Lokalkolorit in Manier des poetischen Realismus balanciert – und verrät in der schlussendlichen Zweischneidigkeit ein tiefgreifendes Verständnis für die Utopien und die Unwiederbringlichkeit der Kindheit.

Das gilt auch für den ein abendfüllendes Doppelpack vervollständigenden, vorherigen Vierzigminüter von Lamorisse: In Crin Blanc (Weiße Mähne, 1953) ist es die hart erkämpfte Freundschaft zwischen Kind und Pferd, die als rechter Camargue-Western in Schwarzweiß bis zur bitter-bewegenden poetischen Neige ausgekostete wird. hub

ZUR PERSON

Albert Lamorisse (*1922, Paris), Regisseur klassischer Kinderfilme, Erfinder des Spiels „Risiko“. 1970 starb er beim Dreh zu einer Iran-Doku, als sein Hubschrauber abstürzte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2007)

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