„Love & Mercy“: Sonne, Sand und Depression

Love & Mercy
Love & Mercy(c) Francois Duhamel
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Rettung aus der Tyrannei des Psychiaters: „Love & Mercy“ zeigt die wahre Geschichte von Brian Wilson, dem Genius der Beach Boys. Schlicht und ergreifend. Ab Freitag im Kino.

Ein dicklicher Bub, vom Vater misshandelt und so stark geohrfeigt, dass er auf einem Ohr fast taub ist, wird in der Gemeinschaft seiner Brüder zum Meisterkomponisten des Pop. Von Selbstzweifeln und Drogensucht geplagt, fällt er in eine schwere Depression – und in die Hände eines dubiosen Therapeuten, der ihn über ein Jahrzehnt lang behandelt und bis zur Entmündigung kontrolliert. Erst eine liebende Frau befreit ihn aus dieser Tyrannei.

Diese Geschichte wäre gut erfunden, wenn sie nicht wahr wäre. Ihr Happy End währt, man verzeihe den Spoiler, bis heute: Brian Wilson hat seine Brüder Dennis und Carl überlebt, seine zweite Ehe hatte Bestand, vor zwei Jahren hat er sogar mit den Resten der Beach Boys ein würdiges Album aufgenommen, mit der letzten Zeile: „We live, we die, and dream about our yesterday.“

Der Film „Love & Mercy“ löst die Vergangenheit nicht in Traumsequenzen auf, sondern spielt konsequent in zwei Zeitebenen: Brian Wilsons Befreiung von Psychiater Landy in den späten Achtzigerjahren; seine große, allmählich in eine Krise übergehende Schaffensphase von 1963 bis 1966.

Dabei wird der frühe Wilson durch einen anderen Schauspieler dargestellt als der späte, und das funktioniert nicht wirklich. Denn John Cusack, der den circa 45-jährigen Wilson spielt, kann zwar virtuos zerrüttet dreinschauen, und er ist auch ein glaubhafter Rock 'n' Roller, aber von der Art eines Bruce Springsteen, nicht eines Brian Wilson. Man nimmt diesem hageren Psycho einfach nicht ab, dass er einmal fett war. Paul Dano dagegen ist ganz und gar das dicke, ungeschickte, in Träumen verlorene Kind, das nach seinem ersten LSD-Rausch schwärmt: „Ich habe Gott gesehen.“ Dass die beiden dieselbe Person sind, wird nicht einmal nachfühlbar, als die 1960er- und 1980er-Sequenzen kurz vor Ende des Films ineinander verschwimmen, zu „In My Room“, einem tiefen Song aus dem Jahr 1963, in dem die Düsternis, die Wilson bald umfassen sollte, schon zu spüren ist.

Die Sandkiste im Zimmer

Das holzgetäfelte Zimmer, in dem sich der junge Brian in sich zurückzieht, dient dem Film als Leitmotiv, fast schon zu plakativ. Auch die legendäre Zimmersandkiste, in der Wilson sein Klavier stehen hatte, wenn er Sand und Sonne imaginieren wollte, hat Regisseur Bill Pohlad nachgebaut; und wenn er den berauschten Brian Wilson in Zeitlupe durch den Swimmingpool gleiten lässt, spielt er auf ein Bildmotiv einer anderen Band mit tragischem Sänger an: auf das Cover von Nirvanas „Nevermind“. Diverse Beach-Boys-Covers wurden routiniert animiert, warum die fröhlichen Wasserschlachten just an einer Stelle schwarz-weiß sind, erschließt sich nicht.

Die restlichen Beach Boys sind fesche Strandbuben, wie sich's gehört, nur dem Cousin und Kontrahenten Mike Love verleiht Jake Abel etwas kompliziertere Züge. Bill Camp ist ein manischer, tyrannischer Vater Wilson, Paul Giamatti ein unheimlicher Psychiater Landy: Man spürt auch in ihm ein gefräßiges, neurotisches Kind.

Elizabeth Banks muss keine Abgründe darstellen, nur eine Autoverkäuferin, die aus reiner Liebe zur Retterin wird. Man glaubt ihr die romantische Rührung, als Brian Wilson ihr den Polarstern zeigt, und den Schrecken, als sie allmählich versteht, worauf sie sich da eingelassen hat, gipfelnd im Dialog: „Ich höre Stimmen.“ – „Seit wann?“ – „1963.“

Ansonsten sind die Dialoge alles andere als tiefsinnig, das müssen sie auch gar nicht sein, Brian Wilson war und ist kein Intellektueller, sondern ein naives Genie, dessen erster Absturz nicht zuletzt dadurch angestoßen wurde, dass er sich dieser Genialität bewusst wurde. Was ihn überforderte: Das lange als verschollenes Meisterwerk gehandelte Album „Smile“ (1966/67) war keines, das zeigte die späte Veröffentlichung 2004, in diesen verschrobenen Stücken funktionierte das Licht- und Schattenspiel nicht mehr, das Beach-Boys-Songs wie „God Only Knows“, „Good Vibrations“ oder „'Til I Die“ auszeichnet.

Deren dauerhafte Größe hilft auch über die kleinen Schwächen dieses Films hinweg. Der im Ganzen ein gelungener Hymnus auf einen großen Hymniker des Pop ist, und eine schaurig-schöne Seifenoper, eine, die das Leben geschrieben hat, ist das nichts?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2015)

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