Egon-Schiele-Film: Getriebener Künstler, Hoffnung der Frauen

Egon Schiele. Tod und Mädchen
Egon Schiele. Tod und Mädchen(c) Thimfilm
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„Egon Schiele. Tod und Mädchen“ stellt die erotischen Beziehungen des Zeichners und Malers in den Mittelpunkt. Ein solider, aber blasser Film Dieter Berners, der seltsam unbestimmt lässt, was diesen Mann bewegt hat. Ab Freitag im Kino.

Am Anfang, als eine Art melodramatischer Vorspann, steht der Wahnsinn: Ein verwirrter, älterer Mann wirft Papiere ins Feuer, verzweifelt versucht die Ehefrau, ihn davon abzuhalten. Herr Schiele verbrennt sein Vermögen. Die Syphilis! Der Tod! Die Kinder, Egon (Noah Saavedra) und seine jüngere Schwester Gerti (Maresi Riegner), beobachten es hilflos. Schnitt. Menschen holen sich im Herbst 1918 Kohle. Ein Sack pro Haushalt. Gerti lässt den Brennstoff in die Dachbodenwohnung, in das Atelier ihres Bruders bringen. Er leidet an der Spanischen Grippe, seine Frau, Edith (Marie Jung), ist eben gestorben. Auch den Künstler wird die Epidemie dahinraffen – mit nur 28 Jahren.

Zuvor aber sieht man, wie Gerti sich rührend darum bemüht, den Bruder, den berühmt-berüchtigten Zeichner und Maler, zu retten, das heilende Chinin wird zu spät kommen. Erst aber steht sie am Krankenbett ihres fiebernden Bruders, in dieser kalten Wohnung, die voll ist mit seinen berühmten Bildern. Erinnerungen kommen beim Betrachten dieser fast beiläufig verstreuten Werke hoch, die heute auf dem Kunstmarkt viele Millionen Dollar kosten. Junge Frauen und minderjährige Mädchen, halb nackt, nackt oder entblößt, mit oder ohne den Künstler, der sie betrachtet, der von ihnen beobachtet wird, machen einen Großteil dieser Zeichnungen und Gemälde aus, die Gerti im Verlauf der Handlung sieht. Sie lösen Szenen aus, die in den Ersten Weltkrieg und wenige Jahre davor zurückführen.

Verständnisvolle junge Frauen

Regisseur Dieter Berner hat vor allem die erotischen Beziehungen des Künstlers in den Mittelpunkt seines Films „Egon Schiele. Tod und Mädchen“ gestellt, mit dem inzwischen für die Nachwelt berühmten Modell Wally Neuzil als zentraler Figur. Valerie Pachner spielt diese verständnisvolle junge Frau mit viel Herz und einem Hauch Boheme. Neben ihr verblasst der schöne Hauptdarsteller, der im Posieren Weltklasse ist. Aber diesem braven Schiele nimmt man den künstlerischen Furor nicht ab. Das liegt weniger am ziemlich jungen Schauspieler als an der Blässe des Films. Selbst das Thema Kindesmissbrauch wird in einer Gerichtsszene und der dazu eingeblendeten Vorgeschichte der Vorwürfe zur Harmlosigkeit herabgestuft. Alles keimfrei. Man folgt dem Maler, seiner Gruppe Neukunst wie auf einen Schulausflug, nach Krumau und Neulengbach, geht mit ihm in Kaffeehäuser, in ein Prater-Bordell sowie in großbürgerliche Wohnungen, berührt sogar die Sphären des Großmeisters Gustav Klimt. Er wird von Cornelius Obonya wie ein gleichmütiger Buddha gespielt, der den jungen Kollegen diskret unterstützt.

Was Schiele antreibt, bleibt seltsam unbestimmt. Dieser 110 Minuten lange Film wirkt solide, gut gemacht, vermittelt auch etwas Atmosphäre der Welt von gestern, doch lässt er seltsam kalt, wenn man bedenkt, dass er vom genialischen Schöpfer skandalöser Meisterwerke handelt. Und die Frauen? Abwechslungsreich. Als erstes Aktmodell sieht man die Schwester, fast ein Kind, getrieben von der Schwärmerei für ihren großen Bruder. Dieser steigt in die Halbwelt hinab, in der Nina Proll als abgebrühte Varieté-Direktorin wirkt, lernt die dunkle Schönheit Moa Mandu (Larissa Aimee Breidbach) kennen.

Mit Bleistiften versorgter Künstler

Nun wird gezeichnet und geliebt, das intensiviert sich in der Beziehung zu Wally, die ungebunden sein will, doch leidet, als er sich für eine andere entscheidet. Schiele heiratet Bürgerstochter Edith, als er im Krieg eingezogen wird. Verheiratete erhielten Vergünstigungen. Dass es nicht die ältere Schwester Adele Harms (Elisabeth Umlauft) wird, mit der er zuvor geflirtet hat, wirkt wie Zufall. Der Vorwurf in diesem Beziehungsgeflecht scheint berechtigt, dass Schiele die Frauen stets benutzt – ein Meister der Passivität, der romantisch nur an das Zeichnen denkt. Fast jede der Frauen versorgt ihn mit Bleistiften.

Die Fürsorge zahlt sich aus. Am Ende sieht man die Ausstellung in der Secession im März 1918. Die große Liebe, Wally, hat inzwischen als Krankenschwester an der Adria gearbeitet. Von dort erreicht Schiele eine finale Nachricht. Wie reagiert er? Pathetisch. Er streicht auf der Liste der ausgestellten Werke ein Wort im Titel jenes bedrückenden Bilds von 1915 durch, das ihn und die ferne Geliebte verzweifelt umschlungen zeigt. Er macht es zum Danse macabre: „Tod und Mädchen“ heißt es nun, wie viele Besucher des Oberen Belvederes längst wissen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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