„Silence“: Kinomissionar in der Glaubenskrise

Gebetet wird hier nur heimlich: Andrew Garfield als portugiesischer Missionar Sebastião Rodrigues.
Gebetet wird hier nur heimlich: Andrew Garfield als portugiesischer Missionar Sebastião Rodrigues. (c) Constantin
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Martin Scorseses „Silence“ erzählt die Passionsgeschichte eines Jesuitenpaters in einem Japan der ewigen Finsternis. Sakral sind hier nur die Bilder, statt Botschaften gibt es Fragen wie: Hat Glaube Platz in einer hoffnungslosen Wirklichkeit?

Hätte er sein Leben nicht dem Kino geweiht, wäre Martin Scorsese wohl Priester geworden. Das ist nicht Spekulation, sondern biografisch verbürgt: Der italoamerikanische Meisterregisseur besuchte eine katholische Highschool in New York, ein engagierter Pfarrer zählte zu seinen frühesten und prägendsten Mentoren. Glaubensfragen ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Manchmal als Symbol, wie im Schwarz-Weiß-Debüt „Who's That Knocking at My Door“ (1967), in dem sich ein konsternierter Jungspund am Ende die Lippen an einem Kruzifix wundküsst. Manchmal als Kommentar am Handlungsrand: Wie in „Mean Streets“ (1973), in dem ein Mafia-Aufsteiger seine Hand zur Buße übers Kirchenkerzenfeuer hält. Oft hängt die Religion als unsichtbarer Schatten über dem Geschehen wie in allen Scorsese-Werken über Getriebene, die auf mehr oder weniger blutigen Irrwegen (vergeblich) nach Erlösung suchen. Und manchmal wird sie explizit thematisiert, wie im kontroversen Jesusfilm „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) oder im Dalai-Lama-Biopic „Kundun“ (1997). Aber immer, wenn es bei Scorsese um Gläubigkeit geht, lässt der Zweifel nicht lang auf sich warten.

US-Studios sträubten sich

So auch im Missionarsdrama „Silence“. Es ist ein Herzensprojekt, mit dem sich Scorsese schon seit Ende der Achtziger trägt. Damals wurde ihm die Romanvorlage des japanischen Katholiken Endō Shūsaku (in dessen Heimatland schon 1971 verfilmt) von einem Bischof anempfohlen, doch US-Studios standen einer Adaption des schweren Stoffs skeptisch gegenüber – aus ihrer Sicht durchaus verständlich. Erst der kommerzielle Erfolg von Scorseses Exzess-Epos „The Wolf of Wall Street“ ebnete „Silence“ den Weg.

Erzählt wird darin von den jungen portugiesischen Jesuitenpriestern Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garrpe (Adam Driver), die im 17. Jahrhundert nach Japan aufbrechen, um dort ihren einstigen Lehrmeister Ferreira (Liam Neeson) ausfindig zu machen. Dieser soll im Zuge seiner Missionarstätigkeit vom Glauben abgefallen sein. Im ehemaligen Fischer Kichijiro (Yōsuke Kubozuka) finden sie einen widerwilligen Reiseführer.

Schon die Ankunftseinstellungen machen klar: Japan ist hier nicht das Land der aufgehenden Sonne. Es ist das Land der ewigen Finsternis. Ein „Sumpf“, wie es später heißt, ein buchstäblich gottverlassener Ort. Aschfahl bei Nacht, staubtrocken bei Tag, die Küstendörfer baufällige Elendsquartiere, eingekesselt von kargen, abweisenden Felsformationen, umspült von einem gleichgültigen Meer (gedreht wurde übrigens in Taiwan). Lohnt es sich überhaupt, hier Christ zu sein? Die wenigen Einheimischen, die sich dem westlichen Glauben verschrieben haben, müssen ihr Bekenntnis geheim halten – denn die Regierung sieht die Fremdreligion (zu Recht) als Angriff auf bestehende Ordnungsstrukturen und lässt Bekehrte verfolgen. Wer sich weigert, auf ein Bronzebild Christi zu treten und so seine Apostasie besiegelt, wird gefoltert oder grausam hingerichtet.

Die Schleichwege der beiden Padres durch dieses Schreckenspanorama trennen sich früh, und der Film fokussiert auf die Passionsgeschichte von Sebastião Rodrigues. Zunächst leidet er als Beobachter mit, wird Zeuge, wie ein alter Mann im Wasser ans Kreuz gebunden und den Peitschenhieben der Wellen überantwortet wird. Wenn Gott das ebenfalls mit ansieht (Scorseses charakteristische „God's Eye View“-Vogelperspektiven deuten diese Möglichkeit an), macht es sein Schweigen umso schmerzlicher. Die Form betont das moralische Vakuum: „Silence“ ist einer von Scorseses zurückhaltendsten Filmen, sein spärlicher Musikeinsatz versickert fast völlig in den Geräuschkulissen. Später wird Rodrigues vom Jammerlappen-Judas Kichijiro verraten, und der mephistophelische Großinquisitor Inoue (fantastisch: Komiker Issei Ogata) stellt ihn vor ein perfides Dilemma: Nur wenn er seinen Glauben verleugnet, wird den übrigen Inselchristen weiteres Leid erspart.

Rodrigues: Ein profan geerdeter Held

Manche haben „Silence“, der in den USA gefloppt ist, als Apologie von religiösem Imperialismus kritisiert. Eine sonderbare Interpretation, zumal der japanische Widerstand gegen die Jesuitenmission im Film stets nachvollziehbar bleibt. Scorsese geht es ganz offenkundig nicht um Botschaften, sondern um Fragen: Hat Glaube Platz in einer feindseligen, hoffnungslosen Wirklichkeit? Wo endet Frömmigkeit, wo beginnt (selbstzerstörerischer) Fanatismus? Und kann ein Mensch das Leid der Welt auf seinen Schultern tragen? Rodrigues ist ein Jesus-Double, im Wasser erscheint ihm das Antlitz Christi als Ebenbild. Doch im Unterschied zu Andrew Garfields Figur in Mel Gibsons katholischem Kriegsfilm „Hacksaw Ridge“, deren Kalvarienpfad in eine Heiligsprechung mündet, bleibt Rodrigues' Rolle hier durchweg im Profanen geerdet. Sakral sind nur die Bilder, ganz im Sinne von Kinomissionar Scorsese. Am Ende meint man zu wissen, worum es ihm geht: Was zählt, ist dass man trotzdem glaubt. Aber ein letzter Zweifel bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2017)

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