Neuer Glawogger-Film: „Der Tod sollte im Film kein Ende sein“

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Am Freitag startet „Untitled“ in österreichischen Kinos, geschnitten aus jenen Aufnahmen, die Michael Glawogger vor seinem Malaria-Tod gemacht hat.

Im Dezember 2013 machte sich der österreichische Regisseur Michael Glawogger mit kleinem Team auf die Reise durch den Balkan, Italien und Afrika, um Material für ein ungewöhnliches Projekt zu sammeln: einen Film ohne Namen, der keinem vorgegebenen Thema folgt und bei der Bildersuche offen bleibt für Zufall und Eingebung. Doch am 22. April endete die Kinoexkursion tragisch. In Liberia erkrankte Glawogger an Malaria, konnte nicht rechtzeitig korrekt behandelt werden, starb mit 54 Jahren auf dem Weg zurück nach Wien. Etwa 70 Stunden waren schon gedreht. Glawoggers langjährige Schnittmeisterin, Monika Willi, hat aus den Aufnahmen ein faszinierendes Bildgedicht gemacht, schaulustiger Reise-Essay und Tribute an den Verstorbenen.

Die Presse: Wie haben Sie vor Michael Glawoggers Tod mit ihm zusammengearbeitet – wie sehr war er dabei auch am Schnitt beteiligt?

Monika Willi: Im Laufe unserer Zusammenarbeit entwickelte Michael vor allem bei den Dokumentarfilmen die Methode, eine erste Episode zu drehen, diese zu schneiden und daraus seine Erkenntnisse zu ziehen. Den Rohschnitt habe ich dann oft allein gemacht – auch weil er wissen wollte, was ein anderer Mensch in den Bildern sieht, wie sie losgelöst von seinem Wissen funktionieren. Das wirkte sich manchmal auf die Struktur des gesamten Films aus.

Also hat er schon vor „Untitled“ ohne Konzept gedreht?

So kann man das nicht sagen. Damals gab es noch viel weniger Material: weil auf 16mm gedreht wurde und weil sich Michael extrem genau vorbereitet hat. Er war vorab viel vor Ort, hat lang recherchiert, wusste genau, was er wollte, und hat dann eine jeweilige Episode konzentriert innerhalb von zwei, drei Wochen gedreht.

Inwiefern war das bei „Untitled“ anders?

Es gab kein konkretes Thema, keinen vorgegebenen Drehort, und es ist digital gedreht.

Wie lief die Kommunikation zu Beginn des Projekts ab?

Innerhalb von vier Drehmonaten gab es etwa zehn Aufnahmelieferungen. Die ersten Muster haben mich in Verzweiflung gestürzt: stundenlange Fahrten entlang von zerschossenen Häusern, zwei Buben, die mit ihrem Hund spazieren gehen und reden. Da war wenig dabei, womit man wirklich arbeiten konnte. Aber je länger der Dreh ging, desto einfacher wurde es, einen Zugang zu finden – auch weil das Team immer klarere Vorstellungen davon hatte, woran es interessiert war.

Gab es von Glawoggers Seite irgendwelche Richtlinien bezüglich der Montage?

Was Michael ablehnte, waren Best-of-Zusammenschnitte, also Aneinanderreihungen der schönsten Einstellungen. Sein Credo war: „Zeig mir was, wenn's Freude macht.“ Zudem war er nicht an Erzählungen interessiert, sondern an Handlung.

Haben Sie nach seinem Tod lang gebraucht, bis Sie weitermachen konnten?

Ja. Am Anfang standen Lähmung, Ahnungslosigkeit und die Angst davor, die Aufgabe in Angriff zu nehmen. Eine Freundin sagte zu mir: „Schneide einfach, das machst du doch sonst auch immer!“ Aber das geht nicht, wenn man weiß, dass der, für den man schneidet, nicht mehr da ist. Mit der Hilfe vieler Menschen, die meinen Selbstzweifeln zugehört haben, habe ich mich Stück für Stück an die Aufnahmen herangetastet, sie mir sehr oft angesehen und überdies viel gelesen – Michael wollte einen Voice-over-Text für den Film schreiben, der nun fehlte.

Sie haben stattdessen Reisetagebucheinträge einsprechen lassen, die er während der Dreharbeiten für Zeitungen verfasste. Gab es davor andere Konzepte?

Ich habe viele unterschiedliche Texte kombiniert und ausprobiert: Ein Gedicht von Friederike Mayröcker, ein schönes Gespräch zwischen Elfriede Jelinek und Alexander Kluge, einen Text von William T. Vollmann. Aber die Frage war immer, ob man das so machen darf.

Die Montage ist sehr poetisch, Sie orientieren sich eher an Formen und Motiven als an logischen Zusammenhängen. Manchmal sind die Anschlüsse so anmutig, dass man sich fragt, ob Glawogger sie schon beim Dreh im Sinn hatte.

Wir konnten leider nicht mehr darüber sprechen, wie die Dinge anzuordnen sind. Die Ausgestaltung einzelner Sequenzen war vorrangig, zugleich war ich beim Schnitt nie so frei. Es gibt viele assoziative Übergänge im Film – etwa ein Schnitt von einer orthodoxen Speiseweihe auf einem Fischmarkt und dann in die Wüste. Da scheinen vielleicht meine katholischen Wurzeln durch.

Es gibt zwei Sprachfassungen, eine deutsche, die Birgit Minichmayr spricht, und eine englische. Haben sich die unterschiedlichen Voice-over-Sprachrhythmen auf den Schnitt ausgewirkt?

Nein, weil wir die finalen Sprachaufnahmen leider erst nach der Fertigstellung des Schnitts machen konnten. Aus diesem Grund haben wir manchmal geschimpft wie Rohrspatzen. Wenn man so lang an der Verwebung von Bildern und Tönen arbeitet, will man sprachliche Elemente gern vorab hören.

Nach dem „Verschwinden“ Glawoggers in Harper, Liberia, geht der Film weiter und kehrt an manche der zuvor besuchten Orte zurück – warum?

Viele haben mich gebeten, an dieser Stelle aufzuhören, aber für mich kam das nicht infrage – weil es kein Film über die Reise ist, kein chronologischer Film. Der Tod sollte im Film kein Ende sein. Aber Michaels Texte kommen danach nicht mehr vor, und seine Abwesenheit ist deutlich spürbar.

PERSON UND FILM

Monika Willi, geboren 1968 in Innsbruck, arbeitete (und arbeitet) regelmäßig mit Michael Haneke, Barbara Albert und Florian Flicker zusammen, so wie früher mit Michael Glawogger. „Untitled“ wurde auf der diesjährigen Berlinale präsentiert und war der Eröffnungsfilm des noch bis 2. April laufenden Filmfestivals Diagonale in Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2017)

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