„Alias Grace“: Margaret Atwoods Magd von früher

Die Kamera wird nicht müde, auf das ausnehmend klare Gesicht von Sarah Gadon zu halten.
Die Kamera wird nicht müde, auf das ausnehmend klare Gesicht von Sarah Gadon zu halten. (c) Netflix
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„The Handmaid's Tale“ von Hulu war ein riesiger Erfolg, nun versucht sich Netflix mit „Alias Grace“ ebenfalls an einem Roman Margaret Atwoods. Das klappt nicht ganz so gut.

Also wieder eine Magd. Diesmal keine aus der nahfernen Zukunft wie in der Serie „The Handmaid's Tale“ (Report der Magd), wo junge, fruchtbare Frauen von Radikalgläubigen als Gebärdienstboten gehalten und misshandelt werden. Sondern eine aus der nahfernen Vergangenheit: „Alias Grace“ spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in Toronto und erzählt ebenfalls von struktureller Gewalt gegen Frauen. Grace Marks, Tochter eines prügelnden, stets betrunkenen und ihr nachstellenden Vaters, heuert als Dienerin an und muss bald erkennen, wo ihr Platz ist. Nirgendwo. In dieser guten Gesellschaft fallen die Hausherrn und deren Söhne über die Mägde her, wer schwanger wird, hat Pech gehabt und landet auf der Straße. Oder beim Engelmacher. Wo die Frauen nicht selten sterben. Was dann den Damen des Hauses, die allem missbilligend, aber doch zugesehen haben, unangenehm ist. Sie zahlen den anderen Mädchen Schweigegeld. Sie sollen nichts sagen, damit der Ruf der Toten nicht in den Schmutz gezogen wird. Denn wer ist schuld an sexuellen Übergriffen? Eben.

Die von Netflix produzierte Serie schildert dies alles beklemmend, sehr unaufgeregt, fast ruhig. Als Sittenbild ist diese von Mary Harron inszenierte sechsteilige Miniserie geglückt.

Ist sie eine Mörderin?

Doch bei „Alias Grace“ handelt es sich nicht nur um ein Sittenbild, sondern auch um eine Art Krimi: Die Titelheldin – von Margaret Atwood nach einer historischen Person gezeichnet – ist nämlich eine verurteilte Mörderin. Sie soll gemeinsam mit einem Knecht den Hausherrn und seine Geliebte brutal umgebracht haben. Erst stießen sie die Frau die Kellertreppe hinunter, erdrosselten dann die halb Leblose mit einem Taschentuch. Und als der Hausherr zurückkehrte, schoss der Knecht ihn in den Rücken. Der Knecht wurde gehenkt, Grace zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber ist sie schuldig? Hat sie gewusst, hat sie mitgemacht, gar den Mord geplant? Ihr gehörte das Taschentuch, so viel ist sicher. Aber keiner kann ihr nachweisen, dass sie Hand angelegt hat. Und Grace selbst gibt zumindest vor, sich nicht erinnern zu können.
Also soll ein Seelendoktor Licht ins Dunkel bringen. Dem Grace erzählt. Und erzählt. Und erzählt.

Margaret Atwoods mit dem Booker-Preis ausgezeichneter Bestseller zeichnet Grace als einfache Frau, die vielleicht raffinierter ist, als sie zunächst scheint. Die sich ihrer Anziehungskraft bewusst ist. Und andererseits so manches nicht zu durchschauen scheint. Die Opfer ist und vermutlich Täterin, wütend und beherrscht. Sie bleibt ambivalent. Die Serie dagegen legt sich allzu früh fest: Grace formuliert hier durchwegs überaus gewählt, ihre Anmut ist bestechend, ihr Blick entwaffnend. Und die Kamera wird nicht müde, auf das wunderschöne, ausnehmend klare Gesicht von Sarah Gadon zu halten, als wolle sie sagen: Kann denn so ein reines Wesen der Sünde fähig sein? Und wenn, ist es dann ihre Schuld?

Vor allem auf die letzten beiden Folgen, in denen die Wahrheit ans Licht geholt werden soll, dramatischer Auftritt eines angeblichen Hypnotiseurs inklusive, hätten wir gern verzichtet. Da ist die Serie selbst auf den Budenzauber hereingefallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2017)

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