Film: Der NSU-Komplex als Passionsgeschichte

Diane Kruger exerziert in ihrer ersten komplett deutschsprachigen Rolle alle Gefühlslagen zermürbenden Kummers durch.
Diane Kruger exerziert in ihrer ersten komplett deutschsprachigen Rolle alle Gefühlslagen zermürbenden Kummers durch.(c) Warner Brothers/Bombero int
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In Fatih Akins Drama „Aus dem Nichts“ spielt Diane Kruger eine Frau, die bei einem rechtsextremen Terroranschlag alles verliert – und auf Rache sinnt. Ein Film, der stark beginnt, aber irgendwann in plumpen Schematismus kippt.

Zehn Morde, drei Bombenanschläge, 15bewaffnete Raubüberfälle. Die Schneise der Gewalt, die der Nationalsozialistische Untergrund zwischen 2000 und 2011 durch Deutschland gezogen hat, klafft noch immer wie eine offene Wunde. Der sogenannte NSU-Prozess, dessen Schlussurteile weiterhin ausständig sind, wurde ein Zankapfel im bundesdeutschen Nationaldiskurs – nicht zuletzt dadurch, dass die zuständigen Exekutivbehörden jahrelang einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen haben, dass Ermittlungsakten verschwanden und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sich weigerte, sich zur Mittäterschaft zu bekennen.

Unzählige Zeitungsseiten und drei Fernsehfilme hat die mediale Aufarbeitung des Komplexes schon gezeitigt. Mit „Aus dem Nichts“ liefert der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“, „Tschick“) nun den ersten Kinobeitrag zur Debatte. Es ist keine Dramatisierung der realen Ereignisse, sondern der Versuch, einer Gefühlslage filmische Form zu verleihen: eine Fiktion, geboren aus Trauer und Wut.

Drei Kapitel, drei Genres

Im Zentrum steht Katja (Diane Kruger in ihrer ersten komplett deutschsprachigen Rolle): blond, blauäugig und mit dem kurdischen Kleinunternehmer Nuri (Numan Acar) verheiratet. Völlig unvermittelt werden ihr Mann und ihr fünfjähriger Sohn aus dem Leben gerissen – durch einen Bombenanschlag auf Nuris Büro in einem Hamburger Türken-Kiez. Katjas anschließender Leidensweg gliedert sich in drei Kapitel, die jeweils unterschiedliche Genres bespielen: „Die Familie“ (Trauerspiel), „Gerechtigkeit“ (Justizdrama) und „Das Meer“ (Rachethriller). Dabei bleibt Akin durchwegs in der Opferperspektive; das Täterpärchen tritt primär als Symbol des Bösen in Erscheinung, ihre Menschlichkeit blitzt erst zum Schluss in einer kurzen Kamerabewegung durch.

Der erste (und beste) Teil des Films fokussiert voll und ganz auf den Schmerz der Betroffenen, was zuweilen fast schon expressionistische Züge annimmt: Schwerer Regen prasselt unaufhörlich gegen die Scheiben von Katjas Stadtrandbungalow, schlierige Silhouetten legen sich über ihr Gesicht. Kruger, deren Performance in Cannes mit dem Schauspielpreis ausgezeichnet wurde, exerziert alle Gefühlslagen zermürbenden Kummers durch: Sie bricht zusammen, bekommt Wutanfälle, weist Freunde von sich, windet sich weinend im Bett des Sohnes, raucht sich ein, um zu vergessen, verfällt schließlich in eine tiefe Depression.

Diese erscheint auch als Folge sich türmender Zumutungen. Immer wieder muss Katja ihren toten Mann in Schutz nehmen: vor der Polizei, die aufgrund seiner Herkunft und seiner kriminellen Vergangenheit einen Racheakt der Drogenmafia hinter dem Anschlag vermutet, aber auch vor ihrer eigenen Mutter, die Katjas Liebe zu Nuri nie wirklich akzeptiert hat. Erst die Botschaft über die Festnahme der Täter bringt die Niedergeschlagene wieder auf die Beine – und als Zeugin in den Gerichtssaal.

Spätestens dort wird der Schematismus des Films zum Problem. Ein outrierender Johannes Krisch sabotiert als Teufelsadvokat, dem man seine Bösartigkeit schon an einer markanten Kopfschramme ansieht, mit perfiden Winkelzügen, fingierten Beweismitteln und der Unterstützung eines internationalen Neonazi-Netzwerks den Schlachtplan des rechtschaffen zornigen Kläger-Anwalts (Denis Moschitto). Alles zielt darauf ab, Wut im Zuschauerbauch zu schüren: Groll über die Unzulänglichkeiten des juristischen Systems und Hoffnung auf die wohlverdiente Strafe der Verbrecher. Doch statt in eine „Eine Frau sieht rot“-Rachefantasie zu münden, wie man es sich fast schon wünschen würde, lässt Akin sein kurzzeitiges Genreversprechen in einer nihilistisch-melancholischen Schlusspointe verlaufen, die hilflos in der Luft hängt wie ein trauriges Fragezeichen.

Immerhin ein ungewohntes Bild bringt „Aus dem Nichts“ davor noch: die beiden Täter, wie sie im Jogginganzug Dehnungsübungen machen, kurz vor der morgendlichen Laufrunde. Eine subtile Erinnerung daran, dass die NSU-Morde zunächst falsch zugeordnet wurden, weil sie nicht „laut“ und „brutal“ genug waren, also nicht dem üblichen Typus neonazistischer Gewalt entsprachen. Inzwischen sollte zumindest eines klar sein: Rechtsextreme, die Fahrrad fahren, sind darob nicht weniger rechtsextrem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2017)

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