Filmmuseum

Ingmar Bergman: Säurebäder für die Seele

Liv Ullmann und Bibi Andersson (beide waren auch Partnerin Bergmans) verschmelzen in „Persona“ (1966) miteinander.
Liv Ullmann und Bibi Andersson (beide waren auch Partnerin Bergmans) verschmelzen in „Persona“ (1966) miteinander. (c) Österreichisches Filmmuseum
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Im Juli dieses Jahres wäre der schwedische Meisterregisseur Ingmar Bergman hundert geworden, eine Schau fächert sein facettenreiches Werk auf. Dessen Kernobsession: Die Suche nach der nackten, unverfälschten Wahrheit.

Im Gedenkjahr 2018 wartet auch die Filmgeschichte mit einem wuchtigen Jubiläum auf: Ingmar Bergman hätte heuer seinen Hundertsten gefeiert. Von Schweden aus nehmen weltumspannende Bergman-Festspiele ihren Lauf: Ausstellungen, Theatervorführungen, Buchveröffentlichungen, Diskussionsrunden und natürlich große Filmretrospektiven. Eine der ersten davon läuft bis 8. Februar im Österreichischen Filmmuseum. Und lädt ein zur (Wieder-)Entdeckung eines Œuvres, das viel spannender und vielfältiger ist als sein Ruf.

Denn für viele ist Bergman nach wie vor ein Synonym für das, was man sich landläufig unter „Kunstkino“ vorstellt. Strenges Schwarz-Weiß, religiöse Symbolik, Menschen, die gequält an großen Fragen nagen. Drückend schwere Kost also. Schon Bergmans Name ragt wie ein Zentralmassiv, in dessen Schatten Depressionen blühen. Die überproportionale Bekanntheit spezifischer Werke – insbesondere „Wilde Erdbeeren“ und „Das siebente Siegel“ – hat zur Verfestigung dieser Vorstellung beigetragen. Ganz falsch ist sie nicht – aber viel, viel zu kurz gegriffen. Nicht einmal den Filmen, die sie nähren, wird sie wirklich gerecht.

Bergmans Kino ist fraglos kein Zuckerschlecken. Manchmal fühlt man sich dort wie ein Verlorener in einem dunklen Wald. Doch der Ernst dieser Welt hat nichts Aufgesetztes. Er resultiert aus einem Scharfblick, der durch soziale Schleier schneidet wie ein heißes Messer durch Butter. Und aus einer ungeheuren Empathie für den Menschen in seiner Geworfenheit. Wesenheiten, die geschärft wurden von einem Leben voller kreativer Höhen und Tiefen, voller Ehen, Affären und gescheiterter Beziehungen, deren Echo durch viele seiner Arbeiten hallt.

Die vielleicht erste Qualitätsserie

Etwa durch das fünfstündige TV-Meisterwerk „Szenen einer Ehe“ (1974), einer enorm erfolgreichen Qualitätsserie avant la lettre (das Filmmuseum zeigt aufgrund eines Fokus aufs Kinoschaffen Bergmans nur die kürzere Leinwandfassung). Stück für Stück fallen darin die Zwiebelschichten einer Lebenslüge, kommen die Abgründe hinter der Partnerschaftsmaskerade zum Vorschein – im Zuge intimer Gesprächssituationen, die offenkundig auf peinlich genauer (Selbst-)Beobachtung fußen. Schilt man Bergman einen Nabelschauer, so muss man zumindest eingestehen, dass es keinen Klarsichtigeren gibt. Man spürt in seinen Filmen eine nahezu dämonische Besessenheit, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen.

Er sucht sie in den kalten Sonnenstrahlen, die einem Landpfarrer die Kunde von der Abwesenheit seines Schöpfers bringen („Licht im Winter“). Im blindwütigen Rausch eines Zirkusdirektors, der keinen Ausweg mehr sieht („Abend der Gaukler“). Vielleicht am intensivsten in den Antlitzen von Liv Ullmann und Bibi Andersson, die im kryptischen Kammerspiel „Persona“ verschmelzen – beim Versuch, zum innersten Kern des Ichs vorzudringen. Womöglich war diese Sehnsucht nach der nackten Wahrheit ein verquerer Grund für Bergmans Verehrung des Theater-Lügenzaubers. Schon in den späten 1930er-Jahren begann der Pastorensohn seine Karriere als Bühnenregisseur, inszenierte bis an sein Lebensende parallel zur Filmarbeit zahllose Stücke an berühmten Häusern in Schweden und anderswo. Die meisten Mitglieder seiner Ensemblefamilie – Erland Josephson, Ingrid Thulin, Max von Sydow – fand er unter den Soffitten.

In seinem Opus Magnum „Fanny und Alexander“ (1982) setzte Bergman dem Theatermilieu ein Denkmal – und reiste zurück in die Träume seiner Kindheit. Die Wärme und Üppigkeit, die satten Farben dieser Großtat, sie gehören ebenso zu Bergmans Lichtspiel-Universum wie seine kargen Gespenstersonaten. Wie „Die Zeit mit Monika“, eine bittersüß strahlende Ode an junge Liebeslust, die Harriet Andersson zu einem Sexsymbol der Fünfziger machte. Wie „Das Lächeln einer Sommernacht“, eine flotte, frivole Komödie der Eitelkeiten. Oder wie seine brüchige Fernsehinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“. Bergman, der einst als „Sklave“ in der Drehbuchabteilung der Svensk Filmindustrie hackelte, war auch ein famoser, nicht zuletzt an amerikanischen Vorbildern geschulter Dramaturg, Dialogschreiber und formaler Handwerker. Er wusste den Zuschauer gekonnt in seinen Bann zu schlagen – etwa über den gekonnten Einsatz von Stille.

Aber passt er überhaupt noch in unsere Zeit? Sein Kino ist über weite Strecken eines des grundlegenden Zweifels – und steht damit im Widerspruch zur Ideologie des bedingungslosen Fortschritts, der pragmatischen Selbst- und Gesellschaftsoptimierung. Es nimmt sich jener Themen an, die man heutzutage lieber außen vor lässt – oder gleich verdrängt. Auch Bergmans vielleicht größter Fan Woody Allen serviert sie nur noch mit Zuckerglasur. Insofern ist der strenge Schwede trotz seines Status als Götze des Kulturkanons ein Widerständiger. Seine Filme halten uns dazu an, furchtlos in den Spiegel zu blicken, ihre Reflexionen sind Säurebäder für die Seele. Und im Idealfall geht diese gestärkt daraus hervor.

Retrospektive

Ingmar Bergman. Der schwedische Meisterfilmemacher (1918-2007), der noch zu Lebzeiten in Cannes als „bester Regisseur aller Zeiten“ geehrt wurde, hat über 60 Filme gedreht. Das Filmmuseum zeigt noch bis 8. Februar fast alle seiner Kinofilme sowie ausgewählte Fernseh-, Dokumentar-, Kurz- und Werbefilme im analogen Originalformat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2018)

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