„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“: Mit Unflat gegen Unrecht

Schilder wie analoge Tweets: Mildreds kämpft für Gerechtigkeit.
Schilder wie analoge Tweets: Mildreds kämpft für Gerechtigkeit.(c) Twentieth Century Fox
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Der Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ erzählt von einer Mutter (Frances McDormand), die mit Provokationen für Gerechtigkeit kämpft: Ein widerborstiges Moralstück.

Wie kryptische Kunstinstallationen stehen sie entlang der einsamen Bundesstraße Spalier. Drei breitflächige, mit rotem Papier plakatierte Anzeigetafeln, auf denen in stechend schwarzen Lettern prangt: „RAPED WHILE DYING“; dann: „AND STILL NO ARRESTS?“; und, zum Schluss: „HOW COME, CHIEF WILLOUGHBY?“ Kein bloßes Mahnmal, sondern ein „Schachzug“, wie es später heißen wird. Eine öffentliche Intervention mit der Absicht, der Gesellschaft und ihren Gewalthabern Feuer unterm Hintern zu machen, damit Missstände endlich aus der Welt geschafft werden. Drei analoge Tweets.

Diese „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ geben dem Film, dessen Handlung sie ins Rollen bringen, seinen Titel. Bestellt werden sie von der 50-jährigen Krämerin Mildred Hayes (Frances McDormand). Die klangliche Namensverwandtschaft mit der selbstbewussten Roman-, Film- und Serienheldin Mildred Pierce kommt wohl nicht ganz von ungefähr. Vor Monaten wurde Mildreds Teenager-Tochter vergewaltigt und ermordet. Der Fall blieb ungeklärt und wanderte zu den Akten. Im Gegensatz zur Wut und Trauer der Mutter. Ihre Klage richtet sich nicht nur an den raubeinigen Kleinstadtpolizeichef Willoughby (Woody Harrelson) oder seinen einfältig-jähzornigen Untergebenen, Officer Dixon (Sam Rockwell). In gewisser Hinsicht hadert sie auch mit Gott. Und vielleicht nimmt dieser davon Notiz – denn die drei Schilder bringen in Ebbing, Missouri einiges durcheinander.


Aus der Rotzbuben-Ecke. Der irischstämmige „Billboards“-Regisseurs Martin McDonagh begann seine Laufbahn als Dramatiker – und sorgte 2008 mit der Auftragskiller-Tragikomödie „Brügge sehen . . . und sterben?“ im Kino für Aufsehen. 2012 folgte die selbstreferenzielle Schreibblockaden-Klamotte „Seven Psychopaths“. Beide Arbeiten stießen auf Anklang – wurden aber aufgrund ihres Hangs zur Gewalt, zum Grotesken und zu politisch inkorrektem Humor in die Rotzbuben-Ecke gedrängt. Mit seinem jüngsten Film hat McDonagh einen Ausweg gefunden.

Dabei ist gar nicht so viel anders. Auch „Billboards“ verweist auf das postmoderne Oberchecker-Genrekino der Neunziger – namentlich jenes der Coen-Brüder. Ganz direkt über Hauptdarstellerin McDormand, die mit „Fargo“ berühmt wurde. Und mit einem aus Folk-Songs und Western-Motiven gewobenen Soundtrack von Carter Burwell. Auch die überspitzte Figurenzeichnung, der zynische Witz und das Spiel mit der Spannung zwischen Provinzbetulichkeit und menschlichen Abgründen erinnern ans Coen-Universum. Nur gibt es hier im Übermaß, was dort, wenn überhaupt, unterschwellig mitschwingt: Moral und Gefühl.

Zwar gönnt sich der Film gern derbe Scherze auf Kosten seiner weniger sympathischen Figuren, schmeißt unentwegt mit Unflätigkeiten um sich, weil das zeigt, wie abgebrüht und „echt“ hier alle sind, lässt spießige Priester, gemeine Zahnärzte und andere Hüter des falschen Anstands von Mildreds scharfer Zunge durchbohren. McDonagh ist verliebt in seine pointierten Dialoge, die oft künstlich wirken und angereichert mit Anspielungen, die nicht zu dem Milieu passen, das er porträtiert. Aber er bringt für (fast) alle, die Mildreds Zorn abbekommen, Verständnis auf, glaubt an ihre Menschlichkeit – und an ihr Vermögen, sich zu bessern.

Aus diesem Glauben bezieht „Billboards“ eine emotionale Kraft, die man ihm anfangs gar nicht zutraut. Plötzlich wechselt der Tonfall ins Vertrauliche, Verletzliche, zutiefst Persönliche, kappt die Distanz zum Geschehen mit einem abrupten Ruck. Graduell wechselt auch die Perspektive: Der dümmliche Rassist Dixon, der im Eifer Menschen aus dem Fenster schmeißt, ein Muttersöhnchen und Sinnbild für Amerikas regressive Tendenzen, rückt stetig ins Zentrum der Erzählung, geht buchstäblich durchs Feuer und wandelt sich schließlich vom Saulus zum Beinahe-Paulus.

Zuweilen rettet das famose Ensemble den Film vor seiner eigenen Parabelhaftigkeit – allen voran McDormand. Sie tritt auf wie ein weiblicher Clint Eastwood, stolz und unerbittlich, zeigt aber auch Zerbrechlichkeit. Einen Golden Globe hat ihr die Performance schon eingebracht, der Schauspiel-Oscar ist nicht ausgeschlossen – sofern sie nominiert wird. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht: Im Kern stellt „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ein klassisches Moralstück dar, wie es die Academy liebt. Aber er schmuggelt sein Plädoyer für Solidarität und Empathie durch die Hintertür. Statt Trump-Wählern mit erhobenem Zeigefinger die Leviten zu lesen, reicht er ihnen die Hand. Ob diese Geste auf breitere Akzeptanz stößt, bleibt abzuwarten – nach dem Globes-Abräumer wurden bereits kritische Stimmen laut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2018)

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