"Altered Carbon": Unsterblichkeit als Sci-Fi-Albtraum

Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman) und Polizistin Kristin Ortega (Martha Higareda) geraten auf der Mörder-Jagd in eine Demonstration gegen das Unsterblichkeitsprogramm.
Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman) und Polizistin Kristin Ortega (Martha Higareda) geraten auf der Mörder-Jagd in eine Demonstration gegen das Unsterblichkeitsprogramm.(c) Katie Yu/Netflix
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Netflix bringt Richard Morgans Roman "Das Unsterblichkeitsprogramm" in Serie. "Altered Carbon" schwelgt in Sci-Fi-Gewalt und brütet über Fragen der Vergänglichkeit.

Es ist eine Welt, in der man lieber nicht aufwachen möchte – auch wenn im 24. Jahrhundert, in dem die neue Netflix-Serie „Altered Carbon“ angesiedelt ist, ein großer Traum der Menschheit wahr geworden ist: die Unsterblichkeit. Doch der Annehmlichkeit, sich nicht mehr mit der Vergänglichkeit des Fleisches befassen zu müssen (weil man seinen Bewusstseins-Chip jederzeit in einen neuen „Sleeve“ oder in einen Klon verpflanzen kann) stehen Probleme gegenüber, die sich wie ein Fluch über die Menschen legen: Die Klassengesellschaft teilt sie in Fußvolk (das tatsächlich am Boden wohnt und sich oft keinen neuen Körper oder nur ein altes Modell leisten kann) und Leute, die in futuristischen Palästen über den Wolken thronen und ihre Luxuskörper ständig erneuern. Das Leben ist zur Ware geworden. Wer es sich leisten kann, lebt ewig. Nur wenige „Neokatholiken“ wollen lieber tot sein.

Mit dem Körpertausch gehen Identitätsprobleme und Persönlichkeitsstörungen einher. Und weil körperliche Unversehrtheit nichts mehr wert ist, gelten Gewaltexzesse als Kavaliersdelikt – solange der Bewusstseins-Chip nicht zerstört wird, was den „realen Tod“ zur Folge hat. Die vom Leben in der immer gleichen (Beziehungs-)Dauerschleife angeödete Oberschicht unterhält sich mit überspitzten Dinnerparties (bei denen z. B. ein Tiger am Buffet landet), brutalen Sexspielen im Puff und grausamen Gladiatoren-Wettkämpfen . . .

In dieser Welt wird der ehemalige Widerstandskämpfer Takeshi Kovacs („RoboCop“ Joel Kinnaman) wiedererweckt. 250 Jahre lang lag er nach seinem Tod auf Eis. Jetzt schält sich sein Bewusstsein in einem neuen „Sleeve“ hustend aus einer Plastikhülle, in der er mit einer gallertartigen Konservierungsflüssigkeit eingeschweißt war. Finanziert wird die kostspielige Wiedergeburt von Laurens Bancroft, der seinen Mörder finden will. Sein Hirn und Blut kleben noch an der Wand seines Büros, aber Bancroft geht es blendend: Er hat nach dem Vorfall einfach den kaputten Klon gegen einen neuen gewechselt, macht sowieso alle 48 Stunden ein Bewusstseins-Back-Up, und er least sich Kovacs, um herauszufinden, wer ihm nach dem Leben trachtet. Ein moderner Sklave: Weigert er sich, wird er wieder auf Eis gelegt; macht er mit, erhält er im Falle des Erfolges Begnadigung und Freiheit.

„Altered Carbon“ ist dabei mehr als eine Mörderjagd mit faszinierender futuristischer Technik (besonders perfid: das virtuelle Verhörprogramm, in dem man immer und immer wieder zu Tode gefolgert werden kann). Und es ist auch mehr als die exzessiv ausgestalteten Kampfszenen (man könnte wohl locker eine der zehn Folgen einsparen, würde man die gegenseitigen Zerfleischungs-Sequenzen auf das Wesentliche straffen).

Die schlimmsten inneren Ungeheuer

Es geht in dieser Serie um Macht, Vertrauen – und deren Missbrauch –, um Zusammenhalt, Verantwortung und die Frage der Vergänglichkeit. „Die Unsterblichkeit ist ein Fluch“, sagt Kovacs Lehrmeisterin in einem Backflash. Aber so einfach ist es nicht, eine Klausel für den eigenen „realen Tod“ zu unterschreiben – die Versuchung, weiterleben zu können, ist verlockend, selbst wenn die Gesellschaft kalt und widerwärtig geworden ist. „Die schlimmsten Ungeheuer sind die, die wir in uns tragen“, sagt die Stimme in Kovacs Kopf – und jeder in dieser Serie hat sich seinen inneren Ungeheuern zu stellen.

„Altered Carbon“ basiert auf Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblichkeitsprogramm“, den er später zu einer Trilogie erweiterte. Laeta Kalogridis (sie schrieb u. a. das Drehbuch für Martin Scorseses „Shutter Island“) entwickelte daraus eine Story, die sich ständig wandelt und das Interesse des Zuschauers mit immer neuen Überraschungen locker über die zehn Folgen trägt. „Das erste, was du lernst, ist, dass nichts ist, wie es scheint“, sagt die Lehrmeisterin ganz am Anfang. Erst in Episode zehn weiß man, was sie damit wirklich gemeint hat . . .

ALTERED CARBON

Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblichkeitsprogramm“ (2002), aus dem später seine Takeshi-Kovacs-Trilogie hervorging, liefert die Romanvorlage für die neue Netflix-Serie „Altered Carbon“. Laeta Kalogridis (die u. a. das Drehbuch für Martin Scorseses „Shutter Island“ schrieb) entwickelte den Serienplot. Mit u. a. Joel Kinnaman („RoboCop“, „The Killing“) als Takeshi Kovacs, Martha Higareda als Polizistin Kristin Ortega und James Purefoy („Rom“) als Mordopfer Laurens Bancroft.
Zehn Folgen, seit 2. Februar auf Netflix.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2018)

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