Kino als Wunder unter Wasser

Die „Prinzessin“ dieses Wundermärchens: Sally Hawkins spielt mit verschmitztem Charme die stumme Putzfrau Elisa, die, wie auch ihre Kollegin Zelda (Octavia Spencer), für ein geheimes US-Labor arbeitet – und sich in dessen Forschungsobjekt verliebt.
Die „Prinzessin“ dieses Wundermärchens: Sally Hawkins spielt mit verschmitztem Charme die stumme Putzfrau Elisa, die, wie auch ihre Kollegin Zelda (Octavia Spencer), für ein geheimes US-Labor arbeitet – und sich in dessen Forschungsobjekt verliebt.(c) 2018 Twentieth Century Fox
  • Drucken

In „The Shape of Water“ – für 13 Oscars nominiert – verliebt sich eine Putzfrau in einen Amphibienmenschen. Großes Kino, das Märchenromantik virtuos mit Sozialkritik mischt.

Die Wohnung ist in einem Unterwassertraum versunken: Gegenstände driften durch den Raum, eine Frau schwebt schlafend über der Couch. Die Kamera bewegt sich langsam auf sie zu, begleitet von einer lieblichen Akkordeonmelodie, die sich auch in der „Fabelhaften Welt der Amélie“ gut gemacht hätte, während eine großväterliche Off-Stimme von einer „Prinzessin ohne Stimme“ erzählt. Schon die Eröffnungssequenz von Guillermo del Toros „The Shape of Water“ macht klar: Wir befinden uns im Reich der Märchen und Wunder. Dass dieses Reich mit eskapistischem Kitsch nur wenig zu tun hat, wird allerdings ebenso schnell ersichtlich. Dornröschen erwacht in der Wirklichkeit und beginnt mit ihrer Morgenroutine. Sie wirft ein Ei in den Topf, stellt die Küchenuhr ein, fläzt sich in die Badewanne – und beginnt zu masturbieren.

Sexuelles bleibt im Märchen üblicherweise Subtext – del Toro macht es von Anfang an explizit. Typisch für seine Vision von magischem Realismus: Die schönsten Werke des mexikanischen Regisseurs setzen Fantastik zusammen mit jenen Ängsten und Sehnsüchten ins Bild, aus denen sie erwächst. In „The Devil's Backbone“ gebiert der Spanische Bürgerkrieg Gespenster, in „Pan's Labyrinth“ flüchtet ein kleines Mädchen vor der Franco-Diktatur in eine unterirdische Zauberwelt. „The Shape of Water“ variiert „Die Schöne und das Biest“ – und handelt doch unmissverständlich von Libido, Fremdenhass und Diskriminierung.

Die eingangs erwähnte, von Sally Hawkins mit zierlich-verschmitztem Charme verkörperte „Prinzessin“ heißt Elisa und arbeitet am Höhepunkt des Kalten Krieges als Putzfrau in einem geheimen US-Labor, wo eben ein neues Untersuchungsobjekt angekommen ist: ein schillernder Amphibienmensch (Doug Jones), an dem militärische Experimente durchgeführt werden sollen. Zwischen der stummen, schüchternen Frau und der gefangenen Kreatur (die ein wenig an den „Schrecken vom Amazonas“ erinnert) funkt es sofort. Wenn keiner zuschaut, bringt sie ihm Eier, spielt ihm Musik vor, Zeichensprache schafft Verständigung. Doch die keimende Liebe ist in Gefahr: Der verbissen-sadistische Colonel Strickland (großartig: Michael Shannon) hat es auf den Wassermann abgesehen. Notgedrungen leitet Elisa eine waghalsige Rettungsaktion in die Wege

Zwischen Empathie und Entfremdung

Selten war del Toro so virtuos in seiner Verquickung von Genre, Kinomagie und Sozialkritik. Jedes Szene, fast jedes Detail ist zugleich Rädchen im Spannungsmotor, melodramatische Miniatur, cinephile Hommage und Element einer großen humanistischen Allegorie. Alle Figuren bewegen sich in einem Spannungsfeld aus Empathie und Entfremdung. Elisas afroamerikanische Arbeitskollegin (Octavia Spencer), ihr heimlich schwuler Nachbar (Richard Jenkins), der leitende Wissenschaftler des Labors, der zugleich als Agent für die Russen arbeitet (Michael Stuhlbarg): Jeder muss auf seine Weise für das „Monster“ einstehen, um sich selbst nicht zu verleugnen. Solidarität unter Ausgegrenzten wird zum Ermächtigungskatalysator. Strickland hingegen verkörpert das Ego-Prinzip des amerikanischen Traums, findet Selbstbestätigung in dessen Statussymbolen: Eigenheim, Kernfamilie, Cadillac. Als Bösewicht wirkt er bedrohlich – doch als verzweifelt um seine Legitimation kämpfender Systemerhalter bleibt er eine traurige Gestalt. Wirkliche Wurzel des Übels ist das Freund-Feind-Schema des Kalten Kriegs: Sowjets und Amerikaner würden das Wunderwesen lieber töten, als es dem Widersacher zu überlassen.

Beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit alle diese Motive in die Textur des durchwegs unterhaltsamen Films eingeflochten werden, auch über Ausstattung und Kostüm. Die Kamera gleitet wie ein Fisch durch den Raum, als hätte man das Wasser aus der Eingangsszene nie abgelassen; man geht in dieser Fließbewegung auf, ohne sich gegängelt zu fühlen. Natürlich hat das Ganze etwas Preziöses, eine nostalgische Zuckerglasur liegt über den Dingen. Elisa lebt über einem Filmpalast, der Technicolor-Klassiker spielt, irgendwann fantasiert sie sich in ein schwarz-weißes Musical hinein, tanzt an der Seite des Fischmenschen zu den Klängen des Schmacht-Standards „You'll Never Know“.

Gleichzeitig ist dies ein Film, in dem einer Katze der Kopf abgebissen wird und Verdammte mit dem Finger in Schusswunden von Verlorenen herumbohren. Und ja, es kommt auch zum (angedeuteten) Sex zwischen dem ungewöhnlichen Liebespaar. Die erotischen Metaphern sind angemessen schlüpfrig: In inniger Umarmung treiben die zwei im überschwemmten Badezimmer, den Türöffner begrüßt ein großer Schwall.

„The Shape of Water“ hat 2017 den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen, die Kritiker fast restlos überzeugt, an den Kinokassen reüssiert – und 13 Oscar-Nominierungen eingeheimst. Konsensfilme dieser Art sollten skeptisch stimmen, aber in diesem Fall kann man sich getrost hingeben. Wenn es um aktuelles, progressives, populäres Kino geht, kann dieser Großtat – mit Verlaub – nur wenig das Wasser reichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.