Der Kalte Krieg ist zurück im Kino

Dominika (Jennifer Lawrence) reist nach Budapest, um einem US-Agenten den Namen eines Maulwurfs zu entlocken.
Dominika (Jennifer Lawrence) reist nach Budapest, um einem US-Agenten den Namen eines Maulwurfs zu entlocken.(c) Twentieth Century Fox
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Das jüngste Jennifer-Lawrence-Vehikel "Red Sparrow" handelt von einer russischen Geheimagentin, die einen CIA-Mann verführen soll. Dröges und reißerisches Spionagekino.

Jeder Mensch ist ein Puzzle aus Bedürfnissen“, erklärt die strenge Ausbildnerin (Charlotte Rampling) ihren Agenten-Studenten. Man müsse nur wissen, welche Knöpfe man zu drücken hat, und jede Zielperson werde zu Wachs in den Händen des Spitzenspions. Um diesen Punkt zu unterstreichen, wird ein Gefangener von Wachen in den Raum gezerrt. Er soll eine sexuelle Vorliebe für junge Burschen haben. Eine angehende Agentin wird aufgefordert, sich in einen „Buben zu verwandeln“ und den Mann oral zu befriedigen. Sie bricht weinend zusammen.

Lustig ist das Agentenleben in „Red Sparrow“, der ersten Post-„Hunger Games“-Kollaboration von Superstar Jennifer Lawrence und Regiestilist Francis Lawrence (keine Verwandtschaft), wahrlich nicht. Stattdessen wirkt es wie ein Spießrutenlauf durch physische und psychische Folterszenarien in einer Atmosphäre aus Angst und Argwohn. Und als tiefgekühlter Alptraum-Brutschrank mit angemessenem Schreckensklima fungiert darin eine finstere Vision des heutigen Russlands.

Die Verfilmung eines Romans von Ex-CIA-Mitarbeiter Jason Matthews handelt von der Balletttänzerin Dominika Egorova (Lawrence mit gerolltem R), die sich im Zuge eines Auftritts im Bolschoi Bein und Karriere bricht. Der Unfall war kein Zufall, geplant von Dominikas Tanzpartner und einer ehrgeizigen Konkurrentin: Von Anfang an liegen Verrat und Gewalt in der Luft. Der nette Onkel Vanya (Matthias Schoenaerts, kein Tschechow-Bezug), der für den Geheimdienst tätig ist, bietet ihr finanzielle Hilfe an, falls sie ihm einen kleinen Dienst erweist: Ein Oligarch muss verhört werden, sie soll den Lockvogel spielen.

Der Abend endet blutig – und Dominika als Rekrutin in einem abgelegenen Agentencamp, wo ihr mit Brachialmethoden Manipulationskunst eingetrichtert wird. Als „Spatz“ wird sie zur perückenbewehrten Spezialistin für Informationsbeschaffung, notfalls auch unter Einsatz ihres Körpers – der, wie es heißt, „dem Staat gehört“. In Budapest wartet ihr erster Auftrag: Der US-Agent Nate Nash (Joel Edgerton) hat einen wertvollen Kontakt in den Reihen des FSB, und Dominika wird nach Budapest geschickt, um ihm den Maulwurfsnamen zu entlocken. Zwischen den beiden entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel.

Pflichtschuldiger Plot-Twist

Doch es ist ein Spiel ohne Sieger – und eines, von dem man sehr schnell müde wird. James-Bond-Eskapaden braucht man sich trotz periodischer Schauplatzwechsel (auch Wien kommt zu verknappten Ehren) nicht erwarten; der Film fokussiert auf die weitgehend actionfreien Verwicklungen und Verwerfungen geheimdienstlicher Feldarbeit. Der darob naheliegende Vergleich zu John le Carré ist gleichfalls fehl am Platz: Zynismus ja, aber Differenziertheit und Subtilität? Fehlanzeige.

„Red Sparrow“ schafft es trotz solider Inszenierung, 140 Minuten lang zugleich schleppend und reißerisch zu wirken. Das verkrampfte Melodram unter verfeindeten Spionen scheitert an dürftiger Chemie zwischen den Hauptdarstellern und dem drückenden Gefühl von Ausweglosigkeit, das über allem liegt. Zugleich ergeht sich der Film wiederholt in Brutalität an der Grenze zum Horrorkino: Eine Vergewaltigung, grausame Morde, systematischer Psychoterror, all das wird (zunehmend selbstzweckhaft) strapaziert, als müsse der Film sein „R-Rating“, die zweithöchste Altersfreigabe der USA, erst unter Beweis stellen. Am Ende ist man davon so ermattet, dass man den pflichtschuldigen Schluss-Plot-Twist kaum noch registriert.

Und „Red Sparrow“ ist, bewusst oder unbewusst, auch ein Propagandafilm. Das Russland der Gegenwart erscheint darin als höllischer Überwachungsstaat, der die Sowjetära nie überwunden hat – mangels einer Zeitangabe fragt man sich anfangs tatsächlich, ob das Ganze nicht doch in den Siebzigern spielt, Ausstattung und Kostüm legen es nahe. Putin wird nie genannt, die Rede ist nur vom „Präsidenten“, der dieses oder jenes nicht gutheißen würde. Aber Schoenaerts‘ Onkel Vanya, ein berechnender Machtmensch mit zart-hartem Gebaren, sieht ihm erstaunlich ähnlich. Die wenigen Szenen im CIA-Hauptquartier bieten allein schon deshalb Erleichterung, weil sie deutlich heller ausgeleuchtet sind als alles andere. Vielleicht ist es vermessen, von einem neuen Kalten Krieg zu sprechen – aber dieser Film bringt seine Ahnung erstmals auch in die Säle der westlichen Multiplex-Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2018)

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