Für vier Oscars nominiert: Zarte junge Liebe im Italo-Idyll

Zart und subtil erzählt der Film von der Annäherung zwischen Elio (Timothée Chalamet) und Oliver (Armie Hammer).
Zart und subtil erzählt der Film von der Annäherung zwischen Elio (Timothée Chalamet) und Oliver (Armie Hammer).(c) Sony Pictures
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„Call Me by Your Name“ von Luca Guadagnino erzählt von der keimenden Leidenschaft zwischen einem jungen Bildungsbürger und dem Assistenten seines Vaters. Jetzt im Kino.

Ganz gleich, wie schlecht es Italien wirtschaftlich geht: Seinen Ruf als Sehnsuchtsort für Dichter, Denker, Schöngeister und Romantiker wird das Land nie verlieren. Jedenfalls nicht, so lange es Filme gibt wie „Call Me by Your Name“. Eine Romanze, die sich unter der süßen Sonne der Lombardei räkelt wie ein verträumter Hirte auf einer duftenden Blumenwiese – und von der Leinwand strahlt wie eine Jugenderinnerung aus besseren Zeiten.

Die Achtzigerjahre geistern als Retro-Epoche du jour mit Vorliebe im neonbunten Popkleid durch die Medienlandschaft. Regisseur Luca Guadagnino lässt sie in seiner jüngsten Arbeit aus der Perspektive eines Bildungsbürgers aufleben. Er taucht den Zuschauer ins laue, flirrende Ambiente eines norditalienischen Sommers. Hier lässt der 17-jährige Elio (eine Entdeckung: Timothée Chalamet) auf dem Landsitz seiner Eltern die Seele baumeln. Sein Vater (Michael Stuhlbarg) ist ein Archäologieprofessor, der antike Skulpturen aus dem Gardasee birgt, seine Mutter (Amira Casar) eine Übersetzerin, beide fürsorglich und liebevoll.

Den Wuschelkopf verdreht

Elio selbst ist gesegnet mit Schönheit, Talent, Intelligenz. Als Sprössling einer multiethnischen Familie beherrscht er drei Sprachen. Bach und Debussy fließen auf dem hauseigenen Bösendorfer mühelos aus seinen Fingern. Frei von Sorgen driftet er durch die lauschige Langeweile der Ferienvilla. Tagsüber entspannte Klassikerlektüre auf der Terrasse oder Abkühlung im Teich, abends Disco mit örtlichen Mädels. Zukunft ist noch keine Frage. Bis sein Vater Besuch bekommt.

Dieser heißt Oliver, wird verkörpert von Armie Hammer und soll als Assistent bei Ausgrabungen helfen. Mit dem Aussehen und Gebaren eines britischen Playboys, dem Witz und Charme eines lebhaften Akademikers und der herzhaften Offenheit eines Amerikaners verdreht er dem introvertierten Teenager, der sich innerlich – ungeachtet aller ihn umgebenden Kultur – noch nicht wirklich formiert hat, den Wuschelkopf. Zunächst umkreisen sich die beiden mit Vorbehalten, Gesten werden missverstanden, Fehler gemacht. Doch irgendwann weiß Elio, inspiriert von einer Liebesgeschichte aus dem Heptaméron: Er muss „reden oder sterben“.

Also redet er sich ins große, flüchtige Glück, in dessen sanftem Wellengang der Film ausgiebig planscht. Dass er dabei nie in hemmungslosem Kitsch versinkt, wie Guadagninos Durchbruch „I Am Love“, verdankt sich nicht zuletzt den beiden Hauptdarstellern – aber auch zwei heimlichen Stars. Einer davon ist der thailändische Kameramann Sayombhu Mukdeeprom. Er hat sich vor allem mit seiner Arbeit mit natürlichem Licht für die traumwandlerischen Filme Apichatpong Weerasethakuls einen Namen gemacht. Seine ruhigen Bilder legen sich nicht über die Wirklichkeit, sie lassen der Atmosphäre der Drehorte Luft zum Atmen, die Zitronen blühen in ihnen auch ohne visuellen Kunstdünger. Besonders während eines Fluss-Ausflugs der Liebenden betört die Stimmung aus Monet-Farben, Vogelgezwitscher und Käfersurren mit einnehmender Sinnlichkeit.

Der zweite Auteur im Schatten heißt James Ivory. Zusammen mit seinem 2005 verstorbenen Lebenspartner und Produzenten Ismail Merchant realisierte er seit den 1960er-Jahren über 40 Filme – einige davon oscarprämiert, wie die E.-M.-Forster-Adaption „A Room with a View“. Ihr Kostümstreifen „Maurice“, ebenfalls auf Forster-Basis, war 1987 als schwule Lovestory mit Happy End ihrer Zeit voraus. Nun verleiht Ivorys Drehbuchfassung von André Acimans Romanvorlage „Call Me by Your Name“ ungewohnte emotionale Feingliedrigkeit. Ihr gehört eine der vier Oscar-Nominierungen des Dramas. Sollte Ivory gewinnen, wäre er der älteste Preisträger in der Geschichte der Oscars.

Seine Version der Erzählung oszilliert auf subtile Weise zwischen Euphorie und Melancholie, Warten und Erfüllung, der Gewissheit der Liebe und den Unsicherheiten jugendlicher Selbstfindung. In einer der markantesten Szenen tut sich Elios Libido in einem Moment gedankenverlorener Lust an einem Pfirsich gütlich. Als ihn Oliver dabei ertappt und als neckisch-erotische Geste einen Bissen vom Obst nehmen will, bricht der Bub in Tränen aus. Noch fehlen ihm das Selbstbewusstsein und die Erfahrung, um vollends zu seinem Begehren zu stehen, noch ist die Scham nicht ganz abgeschüttelt. Parallel zu seiner Affäre mit Oliver baut er auch eine Beziehung zur jungen Italienerin Mariza (Esther Garrel) auf, vielleicht als Experiment, vielleicht auch, weil er weiß, dass der ältere Freund und Geliebte irgendwann wieder zurück nach Amerika muss, dass die Zeit noch nicht reif ist für ein offenes Ausleben ihres Verhältnisses.

Kein klassisches Happy End

Doch auch wenn „Call Me by Your Name“ kein klassisches Happy End bietet wie „Maurice“, lässt er Hoffnung durchscheinen, ist von seinem Gestus her ermunternd und nicht tragisch – am deutlichsten in der Figur von Elios Vater, der am Schluss in einem fast schon übertrieben verständnisvollen Zwiegespräch mit seinem Sohn die rührende Moral serviert.

Wenn man dem Film etwas vorwerfen könnte, wäre es Verklärung, eine der Geborgenheit des porträtierten Milieus geschuldete, implizit revisionistische Ausblendung von Homophobie und Aids-Epidemie, die den schwulen Communities in den Achtzigerjahren zusetzten. Jede Art von Angst löst sich auf im Gesang des sanften Barden Sufjan Stevens, dessen zart gezupfte Ballade „Mystery of Love“ das Geschehen an einer Stelle ummantelt wie Klangwolke sieben: „Oh, to see without my eyes / The first time that you kissed me.“ Aber man vergönnt es den Figuren, denn man weiß: Der Ernst des Lebens kommt noch früh genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2018)

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