So geht neues Austro-Kino!

Die Gefühle pochen unter der Haut: Sophie Stockinger spielt die burschikose, unangepasste Mati, die ihre Sehnsüchte nicht mitteilen kann.
Die Gefühle pochen unter der Haut: Sophie Stockinger spielt die burschikose, unangepasste Mati, die ihre Sehnsüchte nicht mitteilen kann.(c) Polyfilm
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Katharina Mückstein bricht in ihrem zweiten Werk, "L'Animale", mit österreichischen Kinotraditionen. Ein Ensembledrama über Menschen, die aus ihrer Haut wollen - aber wie?

Ob man einen Kunstgriff als dreistes Plagiat oder als gelungene Hommage einstuft, hängt wohl meist davon ab, wie triftig und originell er in seinem eigenen Kontext erscheint – ob man ihn als selbstzweckhaften Effekt wahrnimmt oder als organisch aus dem Material erwachsende Finesse. In Katharina Mücksteins neuem Film, „L'Animale“, der bei der Berlinale seine Welt-, bei der Diagonale seine Österreich-Premiere hatte und seit heute, Freitag, im Kino zu sehen ist, gibt es gegen Ende eine Montagesequenz, die sämtliche Figuren an ihrem tiefsten Punkt zeigt, gefangen in entfremdender Einsamkeit und im Unreinen mit sich selbst. Verbunden werden sie nur durch den Song, dem der Film seinen Titel verdankt, Franco Battiatos zärtlich-melancholische Italo-Ballade „L'Animale“. Und allen Realismusgeboten zum Trotz singt jeder der Verirrten eine Zeile mit, als wär's ein Musical; es entsteht der Eindruck eines unwillkürlichen, metaphysischen Schulterschlusses: „Das Tier, das ich in mir trage, lässt mich nie glücklich leben, [. . .] es macht mich zum Sklaven meiner Leidenschaften.“

In Paul Thomas Andersons epischem Ensembledrama „Magnolia“ gibt es eine nahezu identische Passage – nur stammt die Ballade dort von Aimee Mann. Man könnte sagen, Mückstein hat geklaut. Doch im Rahmen eines Films über Selbstfindung in der Provinz – zumal in einem österreichischen – rechnet man nicht mit derartigen Schnörkeln. Der Musical-Moment stellt nicht nur einen Stilbruch dar, sondern einen Bruch mit diversen formalen Traditionen des heimischen Arthaus-Kinos. Er verortet die Regisseurin klar in einer neuen, jungen Kino-Generation, mit filmischen Vorbildern und Bezugspunkten abseits von Haneke und Seidl, Bergman und Bresson – und einem besonderen Verhältnis zur kathartischen Kraft von Musik.

Dieses machte sich bereits in Mücksteins sehenswertem Debüt, „Talea“, bemerkbar. Das einfühlsame Mutter-Tochter-Beziehungsporträt enthielt eine ungewöhnlich lange Kamerafahrt an der Seite seiner radelnden Teenager-Protagonistin, untermalt von Veronika Eberharts Lo-Fi-Pop-Perle „Red Hills“ – drei Minuten schwebender Freiheit vor Industriekulissen im Sonnenuntergang. Gespielt wurde die Radfahrerin von Sophie Stockinger: Ein Leinwand-Einstand, der in „L'Animale“ seine achtbare Fortsetzung findet.

Das Mädchen in der Burschengang

Diesmal gibt Stockinger die burschikose Mati, das einzige Mädchen in einer pubertierenden Bubenclique. In ihrer Freizeit brettert die Hinterland-Gang auf Motocross-Bikes durch Baugruben und macht örtliche Discos unsicher. Pöbeln, saufen, derbe Witze reißen, das schweißt zusammen, ungeachtet des Geschlechts. Kurz vor der Matura wird selbiges dennoch zum Keil: Matis bester Kumpel, Sebastian, will jetzt mehr als nur Kumpel sein, aber die Sehnsüchte der Unangepassten gehen in andere Richtungen – auch wenn ihr vielleicht noch nicht ganz klar ist, in welche.

Parallel skizziert Mückstein eine subkutane Ehekrise in Matis Elternhaus: Der Vater (Dominik Warta) bandelt insgeheim mit Männern an, verleugnet sein homosexuelles Begehren vor sich und seinen Nächsten. Als die Mutter (Kathrin Resetarits) dahinterkommt, traut sie sich nicht, das Kernfamiliengefüge mit einer Aussprache ins Wanken zu bringen. Niemand hier kann aus seiner Haut – aber man spürt das Pochen der Gefühle unter ihr, von Vergletscherung kann keine Rede sein. Nicht zuletzt die sanfte, zuweilen fast samtige Lichtsetzung (Kamera: Michael Schindegger) verleiht den Bildern eine hoffnungsvolle Grundierung – eine Ästhetik, die schon Monja Arts pansexuellen Coming-of-Age-Film „Siebzehn“ belebte.

„L'Animale“ wirkt stellenweise etwas konstruiert, manch eine Erzählvolte lässt sich absehen, bei vielen Sätzen hört man das Drehbuch durch. Aber die Einbettung seiner Identitätswirrungen in glaubhafte soziale Zusammenhänge erdet den Film. Bei der Berlinale verwies die Regisseurin im Zuge einer Pressekonferenz von #KlappeAuf (einer regierungskritischen Protestgruppierung österreichischer Filmschaffender) im Übrigen auch auf seine politische Dimension – als implizite Gegenrede zu jenem Abschnitt des Regierungsprogramms, der die „Verschiedenheit von Mann und Frau“ als „unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden“ deklariert.

STARKE FRAUEN BEI DER DIAGONALE

Filmfestival. In der dritten Diagonale-Ausgabe des Intendanten-Duos Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ist „L'Animale“ nicht der einzige Film, der sich um eine starke Frau dreht: Ruth Kaaserers „Gwendolyn“ (ebenfalls ab heute im Kino) erzählt von der 66-jährigen Anthropologin und Gewichtheberin Gwendolyn Leick, die trotz Krebses weiter Hanteln stemmt. Typische Männlichkeitsbilder hingegen hinterfragt der Film „Cops“ von Stefan A. Lukacs, in dem ein angehender Wega-Polizist von seinen Kollegen als Held gefeiert wird, nachdem er – in vermeintlicher Notwehr – einen Mann erschossen hat. Die Diagonale läuft noch bis Sonntag, am Samstag werden die Preise verliehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2018)

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