„I, Tonya“: Hardings Geschichte als vulgäre Eisprinzessin

Mit viel Elan und vollem Körpereinsatz: Margot Robbie als Tonya Harding.
Mit viel Elan und vollem Körpereinsatz: Margot Robbie als Tonya Harding.(c) Thimfilm
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US-Medien nannten sie „Trashy Tonya“: die Eisläuferin, deren Mann ein Attentat auf ihre Konkurrentin organisierte. Der Film „I, Tonya“ zeichnet ein tragikomisches Porträt.

Es war der erste echte Medienskandal in der gerade erst angebrochenen Ära der Nonstop-Nachrichtenkanäle im US-Kabelfernsehen; die Blaupause für die reißerische und polarisierende Art, mit der wenig später die Geschehnisse rund um O. J. Simpson auf dieselbe Art ausgeschlachtet wurden: Im Jänner 1994, während des Trainings für die amerikanischen Meisterschaften, hatte ein Unbekannter mit einer Eisenstange auf das Schienbein der Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan eingeschlagen.

Wie unmittelbar danach herauskam, war das Attentat von dem Ehemann ihrer Konkurrentin Tonya Harding eingefädelt worden, die besser unter ihrem Spitznamen „Trashy Tonya“ (auf Deutsch: Mist-Tonya) bekannt war, den ihr zuvor die Boulevardmedien verpasst hatten, weil sie klar erkennbar aus der weißen Unterschicht stammte.Die erste Frau, der es gelungen war, einen Dreifach-Axel zu springen, trat in selbstgenähten Kostümen zu Heavy-Metal-Musik auf und wurde als aggressiv und maskulin wahrgenommen: eine vulgäre Ausnahmeerscheinung in einem Sport, der sonst von anmutigen Prinzessinnen aus besserem Hause dominiert wird. Den Bekanntheitsgrad des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton erlangte Harding allerdings erst in Folge des Attentats, von dem angenommen wurde, dass sie es mit in Auftrag gegeben hatte.

Mitreißend, wild, dynamisch

Auf den berühmt-berüchtigten Vorfall mit der Eisenstange und sein lautes Echo in den Medien läuft in „I, Tonya“ zwar alles zu, aber das Hauptinteresse des Films ist es, Hardings Lebensgeschichte als einen fatalistischen Entwicklungsroman nachzuzeichnen. Und zwar im tragisch-komischen Tonfall. Margot Robbie spielt die Titelheldin mit viel Elan und vollem Körpereinsatz. Allison Janney erhielt für ihre brillante Darstellung der kettenrauchenden und trinksüchtigen Tigermutter zurecht den Nebenrollen-Oscar. Die Schauspielleistungen sind überragend. Die Inszenierung ist nicht weniger mitreißend. Die Kameraführung dynamisch. Die Montage wild. Das Zeitkolorit (die Achtziger- und Neunzigerjahre) schön getroffen.

Wegen der rasanten Bildsprache und der vielen Brüche mit der vierten Wand fühlt man sich oft an „Goodfellas“ von Martin Scorsese erinnert. Immer wieder sprechen die Figuren direkt in die Kamera. Ob inmitten der Filmhandlung oder als Interview-Gegenüber. Drehbuchautor Steven Rogers war nämlich bei Gesprächen, die er mit Harding und ihrem Ex-Gatten Jeff Gillooly geführt hatte, aufgefallen, dass sich ihre Schilderungen derselben Ereignisse radikal voneinander unterschieden. Aber statt sich an der Unauffindbarkeit einer objektiven Wahrheit zu stören, ließ er die gegensätzlichen Aussagen eins zu eins ins Skript einfließen. Wodurch die echten Personen zu den unzuverlässigen Erzählern der Geschichte werden, die man zu sehen bekommt.

Trotz der unbestreitbaren Qualität von „I, Tonya“ ist man sich aber bis zuletzt unschlüssig darüber, was man von dem abschätzigen bis höhnischen Blick dieses Films auf die amerikanische Arbeiterklasse halten soll. Widersprüchlich ist vor allem, dass man sich zwar zu einer differenzierten Betrachtungsweise der minderbegüterten Delinquenten aufgefordert fühlt, diese dann aber größtenteils als prügelnde, pöbelnde und präpotente White-Trash-Idioten präsentiert bekommt. Für sich genommen wäre das nicht schlimm. Es gibt solche Menschen ja. Das Problem ist eher, dass die ökonomischen Ursachen für die Verrohung der lächerlich-erbärmlichen Nebencharaktere ausgeklammert werden, während die von Gewalt und Missbrauch geprägte Umgebung der strahlenden Protagonistin zum psychologischen Universalschlüssel erklärt wird, um sich einen apologetischen Reim auf ihre späteren Verfehlungen machen zu können. Der böse Humor und das ernst gemeinte Drama gehen zudem keine dialektische Verbindung miteinander ein, sondern laufen nur nebeneinander her.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2018)

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