„Ready Player One“: 2045 regiert die Retro-Popkultur

Im Jahr 2045 regiert die Virtual-Reality-Brille: Tye Sheridan in „Ready Player One“.
Im Jahr 2045 regiert die Virtual-Reality-Brille: Tye Sheridan in „Ready Player One“.(c) Warner
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Die reale Welt ist am Boden, das wahre Leben in der Virtual Reality: Steven Spielberg führt in „Ready Player One“ in ein so tristes wie rasantes Zukunftsszenario. Ab Freitag im Kino.

In der Comicreihe „Calvin und Hobbes“ gab es einmal einen Strip, in dem sich der sechsjährige Calvin ausmalte, wie ein Tyrannosaurus Rex in einem Düsenjet über eine Steppe braust. Im letzten Panel ist der Bub, umgeben von Saurier- und Kriegsspielzeug, mit seinem imaginär verlebendigten Stofftiger Hobbes in der Sandkiste zu sehen: „Das ist so cool“, meint er euphorisch. „Das ist so blöd“, echauffiert sich sein Spielkamerad über die absurde Vorstellung eines Kreidezeitraubtiers in einem zeitgenössischen Fluggerät.

Diese konträren Kommentare spiegeln gut die gemischten Gefühle wider, die man beim Ansehen von Steven Spielbergs „Ready Player One“ empfindet. Mit Calvin stellt man begeistert fest, dass in der Hyperpostmoderne alles miteinander vernetzt wird – bis zur totalen Abwegigkeit. Aber mit Hobbes merkt man, wie austauschbar alles dadurch geworden ist.

Das Science-Fiction-Abenteuer nach dem gleichnamigen Bestseller von Ernest Cline spielt im Jahr 2045. Die menschliche Zivilisation ist von den Katastrophen erfasst worden, die ihr seit Jahrzehnten vorausgesagt wurden. Wirtschaftliche Rezession. Ressourcenmangel. Klimawandel. Massenarmut. Aber statt zu revoltieren, hat die Gesellschaft einhellig zur Virtual-Reality-Brille gegriffen. In der Oasis genannten Parallelwelt ist alles besser, bunter, grenzenloser als in der tristen, beengenden, entbehrungsreichen Wirklichkeit, wo die Slums in Form von übereinander gestapelten Wohnmobilen längst in den Himmel gewachsen sind. Wie so viele zieht Wade (Tye Sheridan) es vor, ins utopische Cyberspace-Königreich abzutauchen, statt sich in der dystopischen Wachwelt als Klassenkämpfer zu versuchen. Dass er schließlich doch zu einem wird, hängt mit der cleveren Strategie des exzentrischen Oasis-Erschaffers James Halliday (Mark Rylance) zusammen.

Avatare wie Kampfdrohnen

Wohlwissend, dass sich die Großkonzerne nach seinem baldigen Tod daran machen werden, sein Online-Elysium zu kapern, hat er in seinem Video-Testament verfügt, dass der Finder eines Easter Eggs (im Internet- und Fan-Jargon eine Bezeichnung für Geheimlevels in Videospielen und versteckte Insider-Anspielungen in Filmen) nicht nur sein halbes Vermögen, sondern ebenso die Kontrolle über die Oasis erben soll. Um die Rätsel dorthin zu knacken, braucht man Medienkompetenz, Idealismus und Sensibilität. Fähigkeiten, die dem abgebrühten Unternehmer Nolan Sorrento (Ben Mendelsohn) im Gegensatz zu Wade abgehen. Dafür kann er sich eine Armee von Untergebenen leisten, die ihre Avatare wie Kampfdrohnen durch die Spielwelt steuern.

Revolte gegen die Konzerne

Die finale Pointe des Films, dass man sich gegen die Übermacht der Konzerne nur im kollektiven Aufbegehren wehren kann (Wade/Parzival hält eine flammende Rede, woraufhin ihm alle Mitspieler/Avatare folgen) und der Schlüssel zur Schönheit am Videospielen im Detail (im Film ein funktionsloser Pixel in einem primitiven Atari-Game) statt im Erreichen des Spielziels verborgen liegt, ist zugegebenermaßen stark widersprüchlich. Ist man nicht vorher Zeuge einer ungezügelten Fetischisierung der Kulturindustrie geworden, während die Effektwalze in den Action-Sequenzen alle Details unter sich begrub? Ist das Ei zu erreichen etwa kein Ziel? Aber man will kein sauertöpfischer Spielverderber sein. Schon gar nicht, wenn man die hier heraufbeschworene Retro-Popkultur (die Achtzigerjahre sind 2045 das beliebteste Jahrzehnt) von Herzen liebt.

Denn die meisten Avatare des für den Film extra am Rechner kreierten Alternativuniversums sind exakte Entsprechungen bekannter Kultfiguren, die man im Kino, vor der Konsole, am PC-Bildschirm oder auf der Cornflakespackung kennenlernen durfte. Wie Spielberg sie in spektakulären Schlachten und Autoverfolgungsjagden aufeinanderprallen lässt, nachdem er sie aus den unterschiedlichsten Genres, Welten und Medien entführt hat, fühlt sich (zumindest aus hedonistischer Perspektive) wie ein Zechgelage unter alten Freunden mit anschließender Achterbahnfahrt an. Andererseits haben King Kong, Freddy Kruger, Duke Nukem und all die anderen, im Sekundentakt ein- und ausgehenden Orgienteilnehmer, ihre Substanz ursprünglich dadurch erhalten, dass man sie in einem eigenständigen Kontext präsentiert bekam.

Nun sieht man sie zwar alle auf einem Fleck wieder, aber nimmt sie dadurch nur mehr wie eine amorphe Masse wahr. Nicht ihre Erscheinungen sind identisch, aber ihre Wirkungen als Nostalgiestimuli. Das Verfahren, über die freie Verknüpfung von Referenzen neue Zusammenhänge herzustellen, ist das eine. Sie im Reiz-Reflex-Modus am strapazierten Auge vorbeihuschen zu lassen, etwas ganz anderes. Nach einer Weile fühlt man sich auf den Status einer seelenlosen Registriermaschine herabgesetzt. Vielleicht hatte der deutsche Liedermacher Peter Licht ja doch ein wenig recht, als er riet, die Popkultur zu meiden: „Dann geht's dir besser/Aahaaahaaaahuhaaah.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2018)

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