„Lady Bird“: Jugendrebellion im Rückblick

Christine (Saoirse Ronan) will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufrieden. Etwa mit ihrem Namen. Man solle sie Lady Bird nennen, insistiert sie.
Christine (Saoirse Ronan) will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufrieden. Etwa mit ihrem Namen. Man solle sie Lady Bird nennen, insistiert sie.(c) UPI
  • Drucken

Indie-Schauspielstar Greta Gerwig erzählt in ihrem Regiedebüt, „Lady Bird“, humorvoll von den Sehnsüchten und Weltsichten eines Teenagers, und zwar aus eigener Erfahrung.

„Jeder, der von kalifornischem Hedonismus spricht, hat noch nie ein Weihnachten in Sacramento verbracht.“ Mit diesem Zitat der US-Autorin Joan Didion eröffnet Greta Gerwig ihre erste Soloregiearbeit, „Lady Bird“. Bei den meisten Menschen weckt der Westküstenstaat wohl Vorstellungen eines Freigeistparadieses voller Hippies und Surfer, Strandpartys und Cannabis. Metropolen wie Los Angeles und San Francisco gelten als Hauptstädte von Unterhaltung und Gegenkultur. Doch die offizielle Hauptstadt Kaliforniens hat mit alledem wenig zu tun: In Sacramento sind die Rasenflächen vor den Reihenhäusern einwandfrei getrimmt – und anständige Familien schicken ihre Kinder an christliche Privatschulen.

Gerwig kennt dieses Kalifornien nur zu gut. Heute ist die 34-jährige Schauspielerin das It-Girl der New Yorker Indie-Filmszene, doch einst besuchte sie die St. Francis High School in Sacramento. Die Ostküste war für sie damals der Stoff, aus dem die Träume und Ausflüge sind, im Vergleich musste die vertraute Umwelt farblos wirken. Vergessen hat sie sie aber nicht: „Lady Bird“, der für fünf Oscars nominiert war, ist zugleich eine liebevolle Hommage an Gerwigs Heimatort, ein einfühlsamer Kinoentwicklungsroman und eine Zeitreise in die frühen Nullerjahre der Vereinigten Staaten.

2002, um genau zu sein: nach dem 11. September, Prä-Irak-Krieg, kurz vor dem Schulabschluss der siebzehnjährigen Christine McPherson (Saoirse Ronan). Christine will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufrieden. Etwa mit ihrem Namen; er klingt schlicht zu gewöhnlich. Weshalb sie allen eingetrichtert hat, dass sie Lady Bird genannt werden will, wie die Gattin des 36. US-Präsidenten, Lyndon B. Johnson. Ihre Haare hat sie feuerrot gefärbt und Sacramento möchte sie so schnell wie möglich hinter sich lassen. Sie will im fernen US-Osten studieren, wo „Kultur ist“ und „Dichter in Wäldern wohnen“.

Das letzte Highschool-Jahr

Aber dafür reicht das Geld nicht, wie ihre pragmatische Mutter, Marion (toll: Laurie Metcalf), die als Krankenschwester Frühschichten schiebt, beharrlich betont – ein Grund für ständige Konflikte zwischen den charakterstarken Frauen. Ihre Beziehung bildet den emotionalen Kern des Films, doch das wird erst am Ende deutlich. Bis dahin schildert „Lady Bird“ das letzte Highschool-Jahr der Titelheldin in Schnappschüssen, die prägnant und humorvoll von den Sehnsüchten (und verblendeten Weltsichten) junger Menschen erzählen, denen die Normalität ein paar Nummern zu klein geworden ist. Und entwirft nebenher einen Mikrokosmos witziger Figuren, die so gut wie nie zu Witzfiguren verkommen.

Das gelingt ihm, indem er sich nicht (wie so viele Coming-of-Age-Geschichten über Querköpfe) mit den etwas präpotenten Auffassungen seiner Protagonistin identifiziert, sondern sich von diesen distanziert. Lady Bird mag die Rektorin ihrer katholischen Schule als gestrenge Schwester Oberin wahrnehmen, Gerwig zeichnet sie gegen den Strich als intelligente, sensible Erzieherin.

Wie bei den meisten Oscar-Filmen des heurigen Jahres geht es auch hier um die Erzeugung von Empathie – in diesem Fall für jenes Amerika, das im Hollywood-Kontext oft als rückschrittlich (oder gar nicht) porträtiert wird. Und um einen „erwachsenen“ Rückblick auf jugendliche Rebellion. Geld spielt eine Rolle: Der Neid auf gut betuchte Klassenkolleginnen befeuert Lady Birds Freiheitsfantasien. Am schlechtesten kommt eine Figur weg, die ihren sozialen Stand verleugnet: ein Schönling, der aufmüpfigen Mädchen mit Anarchismusgerede den Kopf verdreht (Timothée Chalamet). Er hat für „Geld nichts übrig“, lebt aber dank eines reichen Vaters wie die Made im Speck. Im Zuge des Films lernt die unreife, aber keineswegs unsympathische Heldin, solch süffisante Haltungen abzulegen.

Hier scheinen Gerwigs Einflüsse durch. Lady Birds Werdegang erinnert an die Durchbruchsrolle der Regisseurin in „Frances Ha“, Gerwig ist mit dessen Urheber, Noah Baumbach, liiert. Die klare Bildsprache voller sprechender Details und das Motiv eines eingebildeten, überambitionierten Jungspunds lassen wiederum an Wes Andersons „Rushmore“ denken – ein Poster des Films hängt in Lady Birds Zimmer. Auch die weibliche Perspektive ist nicht so neu, wie das Marketing des Films es gern hätte: Arbeiten wie „Ghost World“ und „Echte Frauen haben Kurven“ verhandelten ähnliche Themen schon zu der Zeit, in der „Lady Bird“ spielt, aus der Perspektive junger Frauen. Doch Gerwigs Regiedebüt braucht den Vergleich mit den Vorbildern nicht scheuen – sein Charme ist selbstständig genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.