Wenn Mama endlich glücklich ist

Marlo hat bereits zwei Kinder, das dritte ist unterwegs: Charlize Theron als erschöpfte Mutter.
Marlo hat bereits zwei Kinder, das dritte ist unterwegs: Charlize Theron als erschöpfte Mutter.(c) Focus Features
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Jason Reitmans "Tully" ist eine einfühlsame und präzise Studie mütterlicher Nöte und Freuden. Zumindest, wenn man zehn Minuten vor Schluss das Kino verlässt.

Es ist ein bewährtes Team. Schon in „Young Adult“ haben Jason Reitman (Regie), Diablo Cody (Drehbuch) und Charlize Theron zusammengearbeitet und ihre Filmerzählung auf wenige Wochen im Leben einer Frau konzentriert. Damals war es eine Mittdreißigerin, kinderlos, frisch geschieden, die ins elterliche Kaff zurückkehrt, um sich ihre Jugendliebe wieder zu angeln: Ein ziemlich böses Stück über Vereinsamung und Egoismus, über Rollenzwänge und das beklemmende Gefühl, vom Leben betrogen worden zu sein. Nur: Worum eigentlich genau?

Diesmal steht eine Mutter Anfang vierzig im Mittelpunkt: Zwei Kinder hat Marlo schon, darunter eines, das man hierzulande verständnislos als „schwierig“ bezeichnen würde, und in den USA offenbar genauso verständnislos als „quirky“. Ein Bub, der sich in den Schulalltag nicht einzufügen vermag, der vor dem Geräusch der Klospülung schreiend davonläuft und ausrastet, wenn die Mutter einmal woanders parken will, als er es gewohnt ist.

Und das dritte Kind ist unterwegs! Als es auf der Welt ist, bedeutet das Schlaflosigkeit, wunde Brustwarzen, einen weichen Bauch und deutlich weniger Geduld mit ihren Kindern. Ein Teufelskreis: Je weniger Kraft Marlo hat, die Bedürfnisse Jonahs zu erkennen und auf sie einzugehen, desto „schwieriger“ wird er. Und je „schwieriger“ er wird, desto weniger Kraft bleibt ihr. Das sind die großen Tugenden des Films, er schönt nicht, schaut genau hin, mit einem so wissenden wie warmen Blick – dass Drehbuchautorin Diablo Cody Mutter von drei Kindern ist, hat sicher geholfen. Ja, so ist es. Und auf Sex hat man auch keine Lust, wenn den ganzen Tag ein Baby an einem klebt, wie Marlo ihrer Nacht-Nanny so einprägsam erklärt.

Die Nacht-Nanny kommt

Womit wir endlich bei der Nacht-Nanny wären, die Tully heißt, dem Film also den Titel gibt und vom reichen Bruder engagiert wurde, was dem die Abende am liebsten mit der Playstation verbringenden Ehemann dann auch wieder nicht recht ist. Wie schaut das denn aus! Wie schaut er da aus? Als könnten sie sich das nicht selbst leisten?

Nacht-Nannys scheinen in den USA der letzte Schrei zu sein, sie kommen spätabends und sorgen dafür, dass die Eltern ein paar Stunden Schlaf bekommen. Damit sie am Morgen erquickt Cupcakes mit Minion-Gesichtern backen können. Tully ist ein Musterexemplar ihrer Art: diskret, liebevoll zum Kind, mit großem Verständnis für die Mutter und ihre Unzulänglichkeiten. Und sie putzt sogar das Haus! In der ersten Hälfte des Films sehen wir Charlize Theron – sie hat für die Rolle etliche Kilos zugenommen – müde und farblos über Legosteine stolpern und die spärliche freie Zeit vor Reality-Formaten versumpern. Nun darf Marlo aufblühen und sogar einmal Karaoke singen – verhalten, aber mit zunehmendem Spaß an der Sache, man könnte ihr ewig zusehen. Was so ein bisschen Schlaf alles ausmacht! Und ein bisschen Ansprache. Plötzlich blitzt auch Marlos Witz wieder auf – und alles scheint ihr leichter von der Hand zu gehen.

Zu schön, um wahr zu sein? Der Verdacht keimt rasch. Zum einen spielt Mackenzie Davis die Nacht-Nanny gruselig perfekt, irgendetwas scheint mit ihr nicht zu stimmen. Woher kennt sie Marlos Lieblingslied? Woher weiß sie, dass sie gern Bourbon trinkt, wenn es die Stillpflichten zulassen? Diablo Cody hat in Interviews damit geworben, dass man mit „Tully“ zwei Filme zum Preis von einem bekomme. Die Story, das ist klar, steuert auf eine unerwartete Wendung zu, eine Pointe, einen Höhepunkt oder einen Tiefpunkt.

Sagen wir es so: Die Deutung, die er in den letzten zehn, zwanzig Minuten anbietet, diskreditiert leider so ziemlich alles, was wir davor gesehen haben. Aber egal. Man kann ja früher gehen. Oder den Schluss einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Und dann, ja dann ist es ein großartiger Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2018)

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