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Mafia, Mitgefühl und Mussolini: Fünf Filme, die Italien erklären

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Italien ist derzeit vornehmlich als Sorgenkind der EU in den Schlagzeilen. Worauf die politische Verfasstheit des Landes fußt, darüber geben auch Filme Auskunft. Fünf Tipps für Flimmit, Netflix und Sky.

Paisà

Von Roberto Rossellini, 1946
Zu sehen auf Flimmit

Politische Klüfte eines Landes gründen oft auf zerrütteter Vergangenheit. Italien war im Zweiten Weltkrieg 1943–1945 umkämpftes Gebiet, die Bevölkerung zwischen (und an) den Fronten: Manche nennen diese Zeit „La guerra civile“. Kaum etwas gewährt eindringlicheren Einblick in das damalige Leben als Roberto Rossellinis „Paisà“. Nachdem er mit „Rom, offene Stadt“ dem italienischen Widerstand gegen deutsche und hauseigene Faschisten ein Denkmal gesetzt hatte, konnte Rossellini mit größerem Budget seinen Blick weiten.
In sechs Kapiteln entfaltet „Paisà“ (Deutsch in etwa: Landsmann) ein brüchiges Sozialpanorama, das von Sizilien bis zur Po-Ebene reicht und von Menschen im (Befreiungs-)Krieg erzählt. Bauern, Soldaten, Straßenkinder, Franziskanermönche, Zivilisten und Partisanen sind Hauptfiguren beiläufiger Tragödien, Hürdenläufer durch Ruinen und Sprachbarrieren – und Träger unbeugsamer Hoffnung. Verkörpert werden sie von Laiendarstellern, als Kulisse dient das Land, die Wunden der Konflikte sind noch deutlich sichtbar. Alles geschieht wie nebenher, Liebe und Humor stehen unmittelbar neben Tod und Grausamkeit, vor der dokumentarischen Ästhetik ist jedes Ereignis gleich: ein Meilenstein des Neorealismus.

Suburra - 7 Tage bis zur Apokalypse

Von Stefano Sollima, 2015
Zu sehen auf Sky

Im Grunde ist jeder italienische Mafiafilm auch eine Gesellschaftsstudie. So handelt Stefano Sollimas knalliger Thriller „Suburra“ von mafiösen Machtkämpfen im römischen Stadtteil Ostia, aber ebenso von Korruption, die alle Schichten durchdringt – und in höchste Kreise reicht. Der Film spielt 2011, kurz vor dem Zerfall des Kabinetts Berlusconi. Im letzten Moment will ein Klüngel aus Kirche, Politik und Unterwelt ein Gesetz durchboxen, das lukrative Baugeschäfte ermöglicht – doch eine Fehde zwischen lokalen Gangstern bringt den Plan in Gefahr. Was folgt, ist zu gleichen Teilen Gewalt-Oper und Milieu-Porträt. Wie aus Matteo Garrones „Gomorra“ keimte auch aus „Suburra“ eine Netflix-Serie.

Willkommen, Herr Präsident!

Von Riccardo Milani, 2013
Zu sehen auf Netflix

Seit den 1950er-Jahren werden im Genre der sogenannten Commedia all'Italia gesellschaftliche Missstände aufgegriffen und wird das moralische Fehlverhalten der einheimischen Eliten satirisch aufs Korn genommen. Die Helden, die sich ihnen in den Weg stellen, sind zumeist gutherzige Idealisten, die gern herumblödeln. „Willkommen, Herr Präsident“ bildet da keine Ausnahme. Ein integerer Zappelphilipp aus der Provinz wird darin versehentlich zum Staatsoberhaupt erklärt. Durch die sozialen Programme, die er anstößt, schießen seine Beliebtheitswerte zum Unmut der Parlamentarier, die aus den Problemen im Land lieber weiter politisches Kleingeld schlagen würden, durch die Decke – wilder Italo-Klamauk mit sozialkritischem Hintersinn.

Caffè Sospeso - Kaffee für alle

Von Fluvio Iannucci und Roly Santos, 2017
Zu sehen auf Netflix

Durch die Wirtschaftskrise, den Rückgang sozialstaatlicher Fürsorge und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den westlichen Industrieländern ist der in Neapel seit über hundert Jahren praktizierte Brauch, einem Bedürftigen einen Kaffee zu hinterlassen, den dieser später trinken kann, auch schon in andere Länder übergeschwappt. „Solidarität und Kaffee gehören zusammen“, heißt es in der Doku von Fulvio Iannucci und Roly Santos, die in Neapel, New York und Buenos Aires mehrere Personen italienischer Herkunft und unterschiedlicher Klassen begleiten, die an die karitative Kraft des schwarzen Getränks glauben. Durch die verknüpfende Montage wird die halbe Welt zum villagio globale – bellisima!

Mein Bruder ist ein Einzelkind

Von Daniele Luchetti, 2007
Zu sehen auf Flimmit

Die Handlung von „Mein Bruder ist Einzelkind“ ist in Latina angesiedelt, einer Stadt, die einst Mussolini errichten ließ, wofür er von vielen bis heute als gütiger Stadtvater verherrlicht wird. 2005 wurde sogar ein Fußboden im Rathaus mit einem Mosaik dekoriert, das den faschistischen Gewaltherrscher in heroischen Posen zeigt. Wie die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger war der Bürgermeister, der den Auftrag erteilte, ein Rechts-außen-Politiker.
Kaum verwunderlich, dass Accio in dieser Umgebung zum Protegé der Neofaschisten heranreift, die im Gegensatz zu seiner Familie aus der unterbezahlten Arbeiterschicht immer etwas zu essen für ihn haben und die destruktiven Neigungen des querulantischen Maturanten fördern. Dem Protagonisten aus dem Coming-of-Age-Drama von Daniele Luchetti, das in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren spielt, steht sein Bruder Manrico gegenüber, der für die Kommunisten aktiv ist. Bis zuletzt bekämpfen sie einander – daheim und auf der Straße. Und als Accio endlich die Seite wechselt, ist es zu spät. Eine sensible Familienparabel über den Zusammenprall des Politischen mit dem Privaten und eine nicht erst seit gestern gespaltene Nation.

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