„Looking for Oum Kulthum“: Die Ungreifbarkeit der arabischen Callas

Najia Skalli spielt die ägyptische Ikone in ihren späteren Jahren. Wie diese Frau wirklich war, weiß man kaum – auch davon handelt „Looking for Oum Kulthum“.
Najia Skalli spielt die ägyptische Ikone in ihren späteren Jahren. Wie diese Frau wirklich war, weiß man kaum – auch davon handelt „Looking for Oum Kulthum“. (c) Filmladen
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Der jüngste Film der iranischen Künstlerin Shirin Neshat will der ägyptischen Sängerinnenlegende Oum Kulthum näherkommen: ein Ding der Unmöglichkeit. Also werden die Schwierigkeiten des Unterfangens zum eigentlichen Thema.

Superstar, Diva, Stimme Ägyptens: Oum Kulthum ist nur mit Superlativen beizukommen. Ihre Lieder begeisterten – und begeistern nach wie vor – den ganzen arabischen Raum. Sie schlugen eine Brücke zwischen geistlicher und weltlicher Musik, Tradition und Moderne, Ober- und Unterschicht. Straßenhändler und Taxifahrer verehrten ihre kraftvolle Stimme ebenso wie König Faruq und Gamal Abdel Nasser. Ihr Zauber wirkte über Landesgrenzen und politische Lager hinweg. Als Frau aus ärmsten Verhältnissen brachte sie es in einer patriarchalen Gesellschaft zu unermesslichem Ruhm. Schwer, im Westen ein vergleichbares Phänomen zu finden: Vergleiche mit Bob Dylan und den Beatles, Maria Callas und ?dith Piaf greifen zu kurz. Wie soll man sich so einer Ausnahmeerscheinung nähern – zumal als Außenstehende, die des Arabischen nicht mächtig ist?

Diese Frage steht im Zentrum von „Looking for Oum Kulthum“ von Shirin Neshat. Die Exil-Iranerin kennt Kulthums Stimme schon aus ihrer Jugendzeit in Teheran. Sie tönte zuhause aus dem Radio, durchflutete öffentliche Verkehrsmittel. Dennoch brauchte die Regisseurin eine Weile, um Zugang zu ihr zu finden. Wie bei klassischer Musik müsse man seine Ohren schulen, um die Nuancen von Kulthums Gesang zu erfassen, meint sie im Gespräch mit der „Presse“ – erst dann könne man seine ekstatische, fast schon orgastische Qualität richtig wertschätzen. Im Arabischen gibt es eine eigene Bezeichnung für diesen musikalisch induzierten Rauschzustand: „Tarab“. Neshat schneidet in den Konzertszenen ihres Films (die zum Teil im Wiener Metro-Kino gedreht wurden) immer wieder auf das Publikum, um einen Eindruck davon zu vermitteln: Männer und Frauen, die gesittet im Saal sitzen, und doch außer sich zu sein scheinen – fingerschnippend, Textpassagen lautlos mit den Lippen formend, selig schwingend wie von Götterhänden angeschlagene Saiten.

Trotz großer Faszination für Kulthums Werdegang wurde Neshat schnell klar, dass ein konventionelles Biopic nur zu Problemen – und zu Langeweile – führen würde. Also suchte sie nach einem persönlichen Zugang: „Als Künstlerin interessierte mich vor allem, wie Kulthum zwischen Karriere und Privatleben balancierte.“ Doch bei der Recherchearbeit konnte sie kaum etwas über die Frau hinter der Ikone in Erfahrung bringen – als wäre Kulthum, die ihr Image genau unter Kontrolle hatte, vollkommen in ihrem Mythos aufgegangen. Eine kurze autobiografische Notiz über ihre Kindheit gilt als einzig legitimer Blick hinter die Kulissen der Legende. Neshat entschied sich, diese Ungreifbarkeit zum Thema zu machen.

Alle halten sich für Kulthum-Experten

Also handelt „Looking for Oum Kulthum“ von der iranischen Filmemacherin Mitra (Neda Rahmanian), die einen Film über Oum Kulthum drehen will – und sich enorm schwer damit tut. Der Druck ist groß. Auch weil sich nahezu alle, darunter auch einige von Mitras Schauspielern, für Kulthum-Experten halten und der „verwestlichten“ Künstlerin nicht zutrauen, die Essenz der Berühmtheit zu treffen (eine Frühfassung des Drehbuchs erzählte die Geschichte daher aus fünf verschiedenen Perspektiven).

Zudem hat Mitra mit persönlichen Problemen zu kämpfen: Ihr Sohn, den sie schon Jahre nicht gesehen hat, schickt ihr immer wieder wütende SMS. Hat sie ihn der Karriere geopfert? So versucht Neshat, die Lücken in Kulthums Leben mit einer autobiografisch angehauchten Stellvertreterfigur zu füllen – und zugleich die Unzulänglichkeit dieser Methode zu reflektieren. Dass die Produktion kompliziert war, gibt sie offen zu: Es gab Budgetprobleme, in Ägypten war keine Drehgenehmigung zu bekommen, die Hauptdarstellerin fiel im letzten Moment aus, Rahmanian musste kurzfristig einspringen. Manchmal stand Neshat kurz vor dem Nervenzusammenbruch. „Die Geschichte ist wahrhaftig, wenn auch nicht ganz wahr.“

Der Fels in der Brandung der Unsicherheiten ist die Musik: Den Auftritten Kulthums, die als junge Frau von Yasmin Raeis gespielt wird, widmet der Film die Zeit, die ihnen gebührt. Und auch wenn die Stimme, die man hört, nicht die des Originals ist, gehen die Neuaufnahmen der Kulthum-Lieder ins Herz – ob man nun Arabisch kann oder nicht. Neshat glaubt, dass deren Kraft nach wie vor imstande ist, zu einen: Während des Arabischen Frühlings war die Filmemacherin auf dem Tahrir-Platz in Kairo zugegen. Oum Kulthum klang aus allen Lautsprechern. Anhänger der Muslimbruderschaft hörten ihr genauso zu wie aktivistische Jugendgruppen: eine Stimme der Revolution, vierzig Jahre nach ihrem Tod.

Zur Regisseurin

Shirin Neshat wurde 1957 im Iran in eine gehobene Mittelschichtsfamilie geboren. Um Kunst zu studieren, zog sie 1979, im Jahr der Revolution, in die USA. Ein Heimatbesuch in den Neunzigern inspirierte sie zur Fotoserie „Women of Allah“ mit bewaffneten Frauen im Tschador, wenige Jahre später widmete sie sich der Videokunst, 2009 erschien ihr erster Spielfilm „Women Without Men“. „Looking for Oum Kulthum“ läuft ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2018)

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