Im Kino: Die Welt retten – mit dem Papst von dieser Welt

Franziskus' Reisen zu Menschen in Not sind das Fleisch des Films: Amatrice nach dem Erdbeben 2016.
Franziskus' Reisen zu Menschen in Not sind das Fleisch des Films: Amatrice nach dem Erdbeben 2016. (c) Universal
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Gegner von Franziskus werden es Propaganda nennen: Wim Wenders' Papstfilm ist ein cineastischer Kniefall. Er zeigt Franziskus auf Reisen und in Gesprächen, als Lichtfigur gegen globale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung.

Als Wim Wenders, einer der bekanntesten deutschen Filmemacher der Nachkriegszeit, beschloss, auf Vorschlag des Vatikans über Papst Franziskus einen Film zu machen, tat er gut daran, ihn ohne Kirchengelder zu machen. Wäre „Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes“ nämlich ein Auftragswerk, er hätte angesichts des Resultats kaum eine Chance, künstlerische Unabhängigkeit glaubhaft zu machen. Mehr noch: Wäre Papst Franziskus im Film von Wim Wenders beispielsweise Viktor Orbán, Donald Trump oder Wladimir Putin, viele würden sagen: ein Propagandafilm.

Es ist ein Film, der den Schein als Sein präsentiert. Der keine Distanz zur Selbstdarstellung des Porträtierten hält, sie im Zuschauer möglichst zu verringern versucht. Doch Propaganda ist keine Frage der Ästhetik allein. Von ihr sprechen wir, wenn wir überzeugt sind, dass Schein und Sein auseinanderklaffen. Wenders aber ist sicher, dass sie bei diesem Papst identisch sind: „Er meint alles, was er sagt, und er lebt auch, was er sagt.“

„Eine reiche Kirche ist eine ohne Jesus“

Der Film ist ein cineastischer Kniefall, die „Corporate Identity“ des Papstes ist hier eindeutig: Er steht für eine „Kirche der Armen“. Zu Letzteren gehören die durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten benachteiligten Menschen ebenso wie die für den Papst heute „Ärmste aller Armen“: die Natur. „Solange eine Kirche auf Reichtum setzt, ist Jesus in ihr nicht zu Hause“, sagt Franziskus gleich zwei Mal nachdrücklich in die Kamera (Wenders sieht und hört man im Film kein einziges Mal). Dann sei sie nicht die Kirche Jesu. Sondern eine „gemeinnützige, wohltätige und kulturelle Organisation“.

Man sieht in diesen Nahaufnahmen, wie plastisch Franziskus mit weichem, beweglichem Mund seine Worte formt – sein einziges Einflussmittel außerhalb der Kirche; als wollte er ihnen schon im Sprechen physische Gestalt verleihen. Auf den ersten Blick auffälliger ist der freundlich-munter glänzende Blick der braunen Äuglein. Zu „geistiger Zärtlichkeit“ untereinander ruft der Papst einmal auf; unleugbar, wie sehr er sie ausstrahlt. Freilich, das taten andere auch, es gehört fast zum Beruf(ung)sbild.

Anderes nicht. Da hält Franziskus eine Philippika vor den Kardinälen, der Ton ist mild, der Inhalt drastisch: Eine Kurie, die sich nicht selbst kontrolliere, sei krank, er zählt sie auf, die Übel: „geschlossene Zirkel“, „spiritueller Alzheimer“, „Trauermienen“, „Raffgier, um sich sicher zu fühlen“. Wer fühlt sich angesprochen? Unmöglich, in den Mienen der Kardinäle zu lesen: Die lang geübte Undurchdringlichkeit, die man gern Würde nennt – sie gehört hier zum Metier.

Kein Besuch des Papstes im Herzen Europas ist zu sehen. Stattdessen erlebt man ihn in einem afrikanischen Kinderkrankenhaus, einem US-Gefängnis, einem vom Hurrikan verwüsteten Ort, in den Favelas . . . Diese menschlichen Begegnungen sind das Fleisch des Films. Über 40 Prozent seien hier arbeitslos, sagt er in einem Arbeiterviertel zornig. „Wenn man keine Arbeit hat, hat man keine Würde.“ „Streichelt ihr eure Kinder? Trödelt ihr mit ihnen?!“, fragt er andere. Die Flüchtlinge auf Lampedusa – was verstehen sie sprachlich von dem, was der Papst zu ihnen sagt? Halten manche ihn für eine christliche Marketingaktion? Eine andere Szene zeigt, wie Franziskus im „Mr.-Bean-Auto“ (wie ein Journalist den päpstlichen Kleinwagen kommentiert) zum US-Kongress fährt und dort geißelt, dass Menschen „einfach um des Geldes willen“ mit Waffenhandel das Morden in Krisengebieten ermöglichen. Da haben Hardliner Tränen in den Augen. Die hatten sie freilich vorher schon.

Einmal mehr zeigt sich in den Gesprächsszenen, wie wenig Franziskus im Vergleich zu seinem Vorgänger ein religiöser Theoretiker ist. Er ist kein Mann, um mit Eltern von durch Krankheiten oder Naturkatastrophen sterbenden Kindern über die Theodizee zu diskutieren. Theologische Abkürzungen scheut er nicht, Hauptsache, die große Erzählung stimmt. Sie soll das Leben der Menschen besser, leichter machen, in dieser Welt, ohne Vertröstungen: Von Gottes Liebe redet Franziskus viel; vom Jenseits, von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nicht.

Umwelt-Enzyklika und Historienkitsch

Wim Wenders ist natürlich nicht nur ein Medium des Papstes, der Film ist auch seine Botschaft. Die vor dem Klimagipfel in Paris 2015 veröffentlichte Umwelt-Enzyklika, „Laudato si'“, etwa, ein thematisches Novum in der Kirchengeschichte, nimmt viel Raum ein. Franziskus' Kritik an der Wegwerfgesellschaft begleitet Wenders mit apokalyptisch anmutenden und doch so realen Bildern, wie wir sie aus Umweltfilmen kennen: Wenn etwa Menschen in Müllgebirgen nach für sie Brauchbarem suchen.

Er lässt auch den heiligen Franziskus in Schwarz-Weiß-Bildern auftreten, erzählt seine Geschichte. Wenn der Schauspieler vor einem Federtier in ehrfürchtiger Liebe versinkt, reizt das eher zum Lachen – das ist wahrlich Mut zum Kitsch. Freilich, um etwas als Kitsch wahrzunehmen, braucht es ein Mindestmaß an Distanz. Wo immer Künstler dringend die Welt verbessern wollten, ging ihre Kunst schnell flöten. Schlimm? Mit gutem Recht lässt sich entgegnen: Es gibt Wichtigeres als sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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