„Don't Worry, He Won't Get Far on Foot“: So bekehrt man einen Säufer

Schrullig, überspannt, exaltiert, aber schließlich vom Alkohol befreit: Joaquin Phoenix als US-Cartoonist John Callahan – im neuen Film von Gus Van Sant, der bei uns unter dem gemischtsprachigen Titel „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ läuft.
Schrullig, überspannt, exaltiert, aber schließlich vom Alkohol befreit: Joaquin Phoenix als US-Cartoonist John Callahan – im neuen Film von Gus Van Sant, der bei uns unter dem gemischtsprachigen Titel „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ läuft.(c) Polyfilm
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Gus Van Sant hat die wahre Geschichte des US-Cartoonisten John Callahan verfilmt: „Don't Worry, He Won't Get Far on Foot“ ist geschmackssicher und sehr amüsant.

Ein Alkoholiker wird für sein lasterhaftes Leben bestraft, landet im Rollstuhl, findet zum Glauben, schwört der Flasche ab und wandelt sich zum erfolgreichen Selfmademan . . .

Aus dieser Geschichte könnte man leicht ein altbackenes Melodram machen, das in ein Weihelied auf moralische Wiedergeburt und den amerikanischen Traum umschlägt. Doch John Callahan (1951–2010), der diese Läuterung durchlaufen und sie in seiner Autobiografie „Don't Worry, He Won't Get Far on Foot“ beschrieben hat, war ein humorvoller Cartoonist. Und Gus Van Sant, der die einschneidende Episode daraus nun verfilmt hat, ist ein kluger Autorenfilmer, der es versteht eine eigenständige Bildsprache und Erzählweise zu entwickeln, um den inneren Rhythmus seiner Charaktere zu treffen.

Diesfalls den von John Callahan. Er war 1972 eine Schnapsdrossel. Wenn er morgens ohne Kater aufwachte, dann weil er noch betrunken war. Ergo sieht man ihn am Anfang beim Aufstehen. Der Stoff ist ihm ausgegangen. Er wird zittrig. Seine Spirituosenverkäuferin soll nichts merken, das scheitert naturgemäß. Am Abend trifft er auf einer Party einen Spaßmacher (Jack Black), wie er selbst einer ist. Dieser nimmt ihn zu einer exzessiven Kneipentour mit, die katastrophal endet, als ihm am Steuer die Augen zufallen.

Die Therapeutin ist ein Engel

Callahan erwacht im Spital, ohne Gefühl in den Beinen: Er ist querschnittsgelähmt. Der erste und einzige Lichtblick in der Rehaklinik ist die warmherzige und kesse Therapeutin Annu (Rooney Mara), die später umso mehr wie eine halluzinierte Engelserscheinung wirkt, als sie ihm in der Uniform einer Flugbegleiterin gegenübertritt. Nach seiner Entlassung beginnt Callahan wieder zu saufen, ringt sich schließlich dazu durch, die Anonymen Alkoholiker aufzusuchen, bei denen er in einem Ex-Trunkenbold mit trockenem Humor (Jonah Hill) einen Mentor findet, der ihm das Zwölf-Schritte-Entzugsprogramm nahebringt, das Glauben an Gott (oder, in der atheistischen Variante, an eine „Macht, die größer als man selbst ist“), Vergebung, Buße und Wiedergutmachung vorschreibt. Zugleich entdeckt er sein Talent als Zeichner und Texter von sarkastischen Cartoons, die sogar von einer Zeitung publiziert werden und genauso viele Leser begeistern wie abstoßen. Siehe da: Er schafft die spirituelle Erweckung und wird trocken.

Es ist erstaunlich, wie virtuos es Van Sant gelingt, die sentimentalen Schlaglöcher der Story zu umgehen, ohne auf einen kalten, kitschigen oder klamaukigen Modus umzuschalten. Er will die Darstellung von Gefühlen zulassen, ohne zu übertreiben oder sich über sie lustig zu machen. Deshalb ironisiert er sie immer nur ganz leicht. Nicht zu viel, nicht zu wenig – eine präzise Balance. Dasselbe gilt für die Schönheit, besser: für die ästhetische Anmutung des Films. Jedes Kleidungsstück, jeder Einrichtungsgegenstand, jede Straßenkreuzung wirkt wie mit Bedacht und größter Geschmackssicherheit gewählt.

Aber wie immer bei Van Sant bedeutet das keine selbstzweckhafte Verliebtheit in Oberflächen. Man schwelgt nie zu kurz, nie zu lang in der Atmosphäre, die sie ausstrahlen – und spürt doch immer ihre auratische Präsenz, bemerkt ihre Farbe, Materialität und Textur. Und dann ist da natürlich noch Joaquin Phoenix, der seiner Rolle als John Callahan einen schrullig-überspannten, aberwitzig-exaltierten Gestus verpasst, mit allerlei Marotten, Ticks und Albereien: Sehr amüsant anzuschauen. Wie der ganze Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2018)

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