„Werk ohne Autor“: Ein Pinsel streckt den NS-Mörder nieder

Trost und Wahrheit der Kunst: Tom Schilling als Kurt Barnert auf der Suche nach dem eigenen Stil.
Trost und Wahrheit der Kunst: Tom Schilling als Kurt Barnert auf der Suche nach dem eigenen Stil. (c) Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
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Neu im Kino. Mit „Werk ohne Autor“ liefert Florian Henckel von Donnersmarck ein empfindsames deutsches Künstlerepos voll von Zeitgeschichte: altmodisch im besten Sinn.

Zu „reißerisch“ sei ihm der Film, sagte kürzlich der weltberühmte deutsche Maler Gerhard Richter nach Sicht des Filmtrailers – mehr wolle er sich gar nicht ansehen, drei Stunden halte er in seinem Alter nicht aus. Richters Leben hat die Inspiration für den Film „Werk ohne Autor“ geliefert. Hier heißt der Maler Kurt Barnert, gezeigt wird sein Aufwachsen in der NS-Zeit, sein Karrierestart in der DDR und dann, als bereits erfolgreicher Jungmaler, sein Neuanfang in der BRD.

Am besten, man denkt bei der Hauptfigur gar nicht an die Vorlage. „Werk ohne Autor“ ist ein im besten Sinn altmodisches deutsches Zeitepos, klug, bewegend und humanistisch. Ja, die Farbe ist nicht dünn aufgetragen, das ist sie nie beim Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck. Aber auch (fast) nie zu dick. Nur dem zeitgeistigen Zwang zur Ironie versagt sich dieser Regisseur vollkommen. Er bevorzugt differenzierte, anrührende Charaktere, besonders empfindsame Männer, die in (politisch) schwierigen Verhältnissen versuchen, das Richtige zu tun. Man kennt diese Ingredienzien schon von Donnersmarcks weltweit erfolgreichem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“. Es erhielt 2007 den Auslands-Oscar, auch „Werk ohne Autor“ ist heuer dafür im Rennen.

Für die Sympathie sorgt von Beginn an der Schauspieler Tom Schilling – er ist die denkbar glücklichste Besetzung für den parzivalhaft arglosen Kurt. Dessen Leben wird von zwei jungen Frauen bestimmt. Da ist zuerst die hübsche und lebenslustige Elisabeth, die ihrem kleinen Neffen Kurt die Welt der Kunst – als das „ganz andere“, als magischen, ekstatischen Raum – eröffnet. Sie zeigt ihm eine Schau für „Entartete Kunst“, lässt sich auf einem Busbahnhof von einem eigens für sie veranstalteten Hupkonzert in andere Sphären katapultieren oder erlauscht in einem Klavierton die ganze Welt. Bis sie für verrückt erklärt wird.

Sebastian Koch als Euthanasie-Arzt

Hier tritt ein grandioser Sebastian Koch als NS-Euthanasiearzt Carl Seeband ins Geschehen, das dringend nötige Gegengewicht an Härte und Dämonie zum sentimentalen Helden. Seeband unterschreibt das Todesurteil für Elisabeth, obwohl sie mit „Papa“-Rufen an seine menschlichen Instinkte appelliert. Eine Träne von ihr auf seinem Schuh macht ihn kurz nachdenklich, doch schon ist sie weggewischt.

Das NS-Regime fällt, die DDR kommt – aber durch die Figuren bleiben die Zeiten ineinander verstrickt, und selbst wenn eine Figur tot ist, lebt sie in einer anderen weiter. So ist das beim Romantiker Henckel vonDonnersmarck, so erhalten auch Elisabeths „Papa“-Rufe einen tieferen Sinn. Kurt wird weder Elisabeth los noch ihren Mörder; in Gestalt seiner großen Liebe Ellie und deren Vater begleiten sie ihn weiter durchs Leben.

Donnersmarck lässt seinen Helden nach einem eigenen Stil suchen und zu einem modernen „Werk ohne Autor“ finden – doch im Grunde folgt der Film einem sehr klassischen Kunstbegriff: Das Wahre, Gute und Schöne sind eins, große Kunst wächst durch Leiden, Liebe, Wahrhaftigkeit. Auch im Umgang mit Leitmotiven, die hier auch magische Zusammenhänge suggerieren, ist der Regisseur ein Kind des 19. Jahrhunderts.

Nachdem Kurt mit Ellie kurz vor dem Mauerbau die Flucht nach Westdeutschland geglückt ist, nimmt der Film die avantgardistischen Moden an der Düsseldorfer Kunstakademie aufs Korn. Aber hinter manchen Allüren steckt doch mehr. Kurts guruhafter Lehrer etwa arbeitet nur mit Fett und Filz, irgendwann erzählt er Kurt, warum: weil er einst im Krieg nach einem Flugzeugabsturz von „feindlichen“ Tataren gesund gepflegt wurde. „Fett und Filz habe ich so verstanden, wie Descartes verstanden hat, dass er existiert“, sagt er. Und so ist es am Ende nur folgerichtig, dass auch die Entlarvung von Elisabeths Mörder durch die Kunst erfolgt: durch die Bilder seines Schwiegersohns. Der Pinsel wird zum Richterhammer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)

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