Sorgerechtsstreit auf Jiddisch

Menashe Lustig spielt sich quasi selbst: Ein lieber Tollpatsch, dem der Rabbi den Sohn (Ruben Niborski) wegnimmt.
Menashe Lustig spielt sich quasi selbst: Ein lieber Tollpatsch, dem der Rabbi den Sohn (Ruben Niborski) wegnimmt.(c) Polyfilm
  • Drucken


"Menashe" bietet einen ungeschönten, aber einfühlsamen Blick in die jüdisch-orthodoxe Gemeinde New Yorks – wo Filme eigentlich gar nicht erlaubt sind.

Warum kann er denn nicht Hut und Mantel tragen, wie alle anständigen Männer? Das fragt den Witwer Menashe sein zehnjähriger Sohn, das fragt auch so manch anderes Gemeindemitglied. Menashe geht nicht darauf ein. Er streift lieber nur mit einer Kippa auf dem Kopf und dem Gebetsmantel unter der Weste durch die Straßen von Borough Park, Brooklyn, New York. Dort lebt eine der größten orthodoxen jüdischen Gemeinden außerhalb Israels. Es ist ein abgeschotteter, auf den ersten Blick befremdlicher Mikrokosmos, dessen Bewohner nach strengen religiösen Gesetzen leben und ihren Alltag strikt nach alten Traditionen regeln. Einen Blick in diese Welt – und auf die Konflikte, die auftreten, wenn religiöse Prinzipien im Widerspruch zu persönlichen Sehnsüchten stehen – bietet Joshua Z. Weinsteins Film „Menashe“, der gerade in den österreichischen Kinos angelaufen ist.

Dessen Titelfigur ist so etwas wie der schrullige, tollpatschige Außenseiter im chassidischen Viertel. Jeden Morgen hievt sich der stämmige Mann aus dem Bett, wäscht sich die Hände in einer Plastikschüssel unter dem Bett, zwirbelt sich hastig die langen Schläfenlocken hinter die Ohren und eilt bereits verschwitzt in den koscheren Supermarkt, wo er arbeitet. Bei den ehrwürdigen Mitgliedern der Gemeinde kommt sein liebevoll-verpeiltes Auftreten nicht allzu gut an. Doch seinen Sohn weiß er mit seinen Späßen stets zu unterhalten. Zeit mit ihm muss er sich allerdings erkämpfen oder erhaschen: Ein Kind hat mit Mutter und Vater aufzuwachsen, hat der Rabbi nach dem Tod von Menashes Frau entschieden und die Erziehung des jungen Rieven dessen überheblichem Onkel Eizik zugeteilt. Will Menashe seinen Sohn zurück, müsste er wieder heiraten – doch an einer erneuten Ehe hat er keinerlei Interesse . . .

Schnaps und heilige Texte

Seinen Konflikt lotet der Film behutsam aus: Man sieht, wie er sich auf ein katastrophales, von einer Heiratsvermittlerin arrangiertes Date einlässt und sich ehrlich bemüht, seine schäbige kleine Wohnung aufzuhübschen – und auf der anderen Seite auch, wie er sich an geselligen Saufabenden dem Schnaps hingibt, in ritualisierter Form, mit geleierten jiddischen Liedern, oder schlicht nach Feierabend mit den hispanischen Kollegen im Supermarktlager. Faszinierend sind die Szenen, in denen der orthodoxe Alltag, vom Ankleiden bis zum Studium heiliger Texte, geschildert wird. Über weite Strecken wirkt der Film wie aus der Zeit gefallen – die chassidische Gemeinde lehnt viele Aspekte des modernen Lebens ab, Menashe hat etwa nur ein altes Klapphandy –, nur selten blitzt durch, dass außerhalb dieser Straßen eine technologisierte Großstadt existiert.

Es ist ein ungeschönter, mutiger Blick auf das orthodoxe Leben, den Weinstein, der davor nur Dokus gedreht hat, hier wagt. Dem säkularen, in New York aufgewachsenen Juden ist die Parallelwelt der Chassiden selbst fremd erschienen. „Ich wollte diesen Film machen, weil er unmöglich war“, würde er später sagen. Auf YouTube fand er dann seinen Hauptdarsteller Menashe Lustig, der erste chassidische Jude, der auf der Videoplattform aktiv wurde. Die Geschichte des Films basiert stark auf Lustigs eigener; als frommer Jude, der ohne Fernsehen, Zeitungen oder Restaurants aufgewachsen ist und heute mit chaplinesken Comedy-Clips unterhält, öffnet er die Tür zu dieser geschlossenen Gesellschaft einen Spalt breit. Und bleibt Teil davon, auch wenn er – was nicht alle gern sehen – gerade dabei ist, sich eine Karriere in der „koscheren Unterhaltung“ aufzubauen.

Gedreht wurde mitten im orthodoxen Viertel unter viel Einsatz von Improvisation. Zu sehen sind nur Laiendarsteller (herausragend: der junge Ruben Niborski, Sohn jüdischer Gelehrter, als Menashes Sohn), deren Muttersprache Jiddisch ist – eine Sprache, die im Film durchgehend gesprochen wird, obwohl Weinstein sie gar nicht versteht. Den Seher hindert das nicht, die FartsvayflungMenashes, dieses liebenswerten Schlimazel(Pechvogel), mitzufühlen. Ein wunderbar warmherziger Film, der Beachtliches schafft: Das Befremdliche nahbar zu machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.