Filmtipps

Wölfe, Eizellen und ein Attentat: Diese Filme sind nur im Netz zu sehen

Star Thrower Entertainment
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Manch toller Film landet hierzulande nie auf der großen Leinwand – sondern gleich im Fundus der Streamingdienste. Wir kramen hervor, was die Algorithmen dort oft verstecken.

Wolfsnächte (Hold the Dark)

Thriller von Jeremy Saulnier
Zu sehen auf Netflix

Russell Core, ein Naturforscher im Ruhestand, wird von einer jungen Mutter kontaktiert. Sie lebt in einem entlegenen Dorf in Alaska. Ihr kleiner Sohn ist – wie schon andere Kinder vor ihm – von Wölfen verschleppt worden. Sie will Aufklärung, vielleicht auch Rache: Wenn ihr Mann aus dem Irak-Krieg zurückkommt, möchte sie nicht mit leeren Händen dastehen. Also macht sich Core auf die Suche, in einer Welt, wo mit dem Himmel „irgendwas nicht stimmt“, wo stets ein rauer Wind weht und die Nacht über den Tag waltet. „Hold the Dark“ wirkt auf den ersten Blick wie die Hollywoodisierung eines „Nordic noir“-Thrillers: Dunkle Geheimnisse, klirrende Kälte, blutiger Schnee. Doch Regisseur Jeremy Saulnier macht mehr daraus. Man muss sich darauf einlassen, wie er in gemessenem Tempo eine Stimmung allumfassender Düsternis entfaltet, in der die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Und man darf sich keine Hoffnungen auf klassische Katharsis machen. Dann wartet eine kraftvolle (und stellenweise brutale) Meditation über Moral und Menschlichkeit, die das Werteverlustkino von „No Country for Old Men“ und „Sicario“ in nachgerade mystische Dimensionen hievt. Brillant als Winterdetektiv im Ohnmachtsrausch: Jeffrey Wright.

22. Juli

Terrordrama von Paul Greengrass
Zu sehen auf Netflix

Strittig, ob man die Anschläge in Norwegen 2011 „verfilmen“ sollte: Groß ist die Gefahr der Täterverherrlichung – oder der Reduktion der Tragödie auf einen billigen, pseudomoralischen Psychothriller, wie in Erik Poppes „Utøya 22. Juli“. „Jason Bourne“-Regisseur Paul Greengrass, seit jeher auf wahre Geschichten abonniert, wagt es trotzdem – und schafft einen erstaunlichen Spagat. Sein „22. Juli“ beginnt riskant, aus der Perspektive Breiviks und im dubiosen Fernsehspannungsmodus. Doch bereits nach einer halben Stunde wechselt er von den Attentaten zur Traumabewältigung – und zur Gerichtsverhandlung, wo dringliche ethische und politische Fragen erörtert werden. Ein wuchtiges Erbaulichkeitsdrama.

Ingrid Goes West

Tragikomödie von Matt Spicer, 2017
Zu sehen auf Amazon

Dass soziale Medien dem psychischen Wohlbefinden vieler Menschen nicht gerade zuträglich sind, haben schon etliche Studien belegt. Wirklich angekommen ist dieser Umstand trotzdem nicht. Wohin die Obsession mit Likes und der Selbstdarstellung anderer führen kann, exerziert Matt Spicer in seinem Film „Ingrid Goes West“ anhand einer Vereinsamten durch (stark: Aubrey Plaza), die sich vom Instagram-Follower einer Influencerin (Elizabeth Olsen) zu deren Stalkerin entwickelt – und bald jeden Bezug zur Wirklichkeit verliert. Ein Web-2.0-Update von Tony Scotts „The Fan“, das vom Schwarzhumorig-Unterhaltsamen ins Bitterbös-Tragische kippt – und auf eine ziemlich fiese Pointe zuläuft.

The Only Living Boy in New York

Coming-of-Age-Film von Marc Webb
Zu sehen auf Amazon

Thomas will es wissen: Nachdem für den frischgebackenen College-Absolventen das Erwachsenenleben mit eigener Wohnung begonnen hat, begibt er sich auf die Suche nach der Liebe und wird währenddessen mit lange gehüteten Familiengeheimnissen konfrontiert. Er verliebt sich unglücklich, freundet sich mit seinem betagten Nachbarn (gewohnt großartig: Jeff Bridges!) an und beginnt schließlich – Ödipus lässt grüßen – eine Amour fou mit der Geliebten seines betuchten Vaters (Pierce Brosnan). Eine libidinöse Dynamik wie in einem Schnitzler-Stück, aber im Gewand eines Coming-Age-Dramas á la „Die Reifeprüfung“. Nur etwas zu soapig manchmal, aber doch sehr stimmungsvoll, verträumt und schwelgerisch.

Private Life

Tragikomödie von Tamara Jenkins
Zu sehen auf Netflix

Richard und Rachel, verheiratet, Mitte 40, New Yorker Kreativberufler, wollen unbedingt ein Kind kriegen. Aber seit Jahren laufen sie gegen eine Wand an. Sie stoßen, verletzen sich, nehmen wieder Anlauf, scheitern erneut. Es will einfach nicht klappen. Die Biologie macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Alternativen (künstliche Besamung, In-Vitro-Fertilisation, Leihmutterschaft) zünden ebenfalls nicht. Schließlich setzen sie ihre Hoffnung in Cynthia, eine 25-jährige Studienabbrecherin, die zum nicht-blutsverwandten Teil der Familie gehört und sich bereit erklärt, ihre Eizellen zur Verfügung zu stellen. Niemand macht etwas falsch. Jeder ist engagiert, einfühlsam und um den jeweils anderen besorgt. Aber es hilft alles nichts. Man kämpft gegen Windmühlen. Regisseurin Tamara Jenkins („Die Geschwister Savage“) hat mit „Private Life“ ein kleines Wunder vollbracht. Ihr Film ist kein Melodram, sondern eine weise Tragikomödie – voll trockenem, aber niemals zynischem Dialogwitz, ernüchternd, aber nie niederschmetternd, berührend, aber nie rührselig. Die Realität mag sich allen persönlichen Wünschen verweigern. Aber die Bindungen sind stärker: unzerbrechlich, krisenfest, wahrhaftig.

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