„Back to the Fatherland“: Ein Neuanfang für junge Israelis

Hand in Hand stellt man sich der Vergangenheit in Wien: Dans Vater, Dan, Großmutter Lea (v. l. n. r.)
Hand in Hand stellt man sich der Vergangenheit in Wien: Dans Vater, Dan, Großmutter Lea (v. l. n. r.)(c) Docs Film
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„Back to the Fatherland“ von Kat Rohrer und Gil Levanon erforscht behutsam ein heikles Thema: Nachfahren Holocaust-Überlebender ziehen immer öfter nach Deutschland.

„Opa, ich ziehe nächsten Monat nach Deutschland.“ Gil Levanon hält die Hand ihres Großvaters bei diesem Geständnis, er sieht auf den Fernseher, wo eine Sendung über NS-Aufmärsche läuft. Mit 15 Jahren haben ihn seine Eltern nach Israel geschickt, er hat sie nie wieder gesehen. „Wenn Gil in Berlin behauptet, sie sei aus Israel, wird man sagen, sie ist eine Lügnerin, weil sie so blond ist“, erklärt der alte Herr. Es könnte wie ein Scherz klingen, aber sein Gesicht bleibt unbewegt. Nein, er selbst werde niemals Deutschland besuchen.

„Back to the Fatherland“ von Gil Levanon und Kat Rohrer, Tochter von „Presse“-Kolumnistin Anneliese Rohrer, die das Drehbuch geschrieben hat, handelt von einem schwierigen Thema. Säkulare und liberale Nachfahren von Holocaust-Überlebenden in Israel fühlen sich wie eine Minderheit in diesem von Dauerkonflikten, tiefen Brüchen und Abgründen zerfurchten Land. Sie ziehen gern nach Deutschland, Berlin, die Großeltern finden das schockierend und lehnen es ab. Warum gerade Deutschland? Warum gerade Österreich?

Doch nicht alle sind so kompromisslos wie Yonachan, Levanons Großvater. Lea ist Malerin, sie besucht ihren Enkel Dan, der gleichfalls Künstler ist, in Wien und rezitiert in ihrer alten Schule „Des Sängers Fluch“ von Ludwig Uhland: „Es stand in alten Zeiten, ein Schloss so hoch und her . . .“ Der König ist neidisch auf den von allen bewunderten Sänger, er tötet ihn, der König aber ist vergessen, während der Sänger für alle Zeiten im Gedächtnis bleiben wird. Lea ist nach den Dreharbeiten von „Back to the Fatherland“ gestorben, sie sollte noch ihren Urenkel sehen, wünschte sich Dan, auch er bildender Künstler, der die „Apartheid in Israel“ beklagt: „Ich habe mich entschieden, wegzulaufen. Ich will leben, mein Leben leben.“

Einmal beginnt das eigene Leben

Auch der alte Uri ist nach Österreich gekommen, in seiner Freizeit baut er Miniaturlandschaften, auch Todeslager, durch die Spielzeugeisenbahnen fahren. Bei einer Erinnerung kommen ihm heute noch die Tränen: In der Straßenbahn fragte ihn ein Gestapo-Mann, ob er Jude sei, und verhaftete ihn, weil er eine Jacke in den Farben der Naziflagge, Schwarz, Weiß, Rot, trug. Enkel Guy, der in Österreich lebt, lauscht mit zusammengekniffenen Augen, er hat die Erzählung jede Woche gehört. Er liebt seinen Opa herzlich, aber auch er will endlich sein eigenes Leben leben: in Salzburg mit Kathi. Trotzdem fühlt sich Guy manchmal unbehaglich, er fürchtet sich vor Neonazis und einer arabischen Partei. Mit seiner Freundin hat er ausgemacht, dass sie sofort ins Flugzeug steigen, sobald er den Eindruck hat, es wird brenzlig. Aber es ist nicht sicher, ob Kathi nach Israel möchte, wo Krieg herrscht. „Es gibt Militäroperationen“, schwächt Guy ab. „Es ist Krieg“, beharrt Kathi. Ihre Eltern bleiben anscheinend neutral, man springt in den See, und Guy spürt vor allem eins: aufatmen. Wie soll es weitergehen? Zunächst fährt Uri bei seinem Wien-Besuch mit der Liliput-Bahn durch den Prater und ärgert sich, dass er kein Kapperl vom Zugführer kaufen kann. Widersprüchliche Eindrücke, widersprüchliche Gefühle.

„Werden wir je vorwärtskommen?“, fragt Kat Rohrer. Die Gruppe ihrer israelischen Freunde ist von dieser Frage nicht begeistert. „Geben wir zu schnell auf?“, überlegt Gil und: „Brauchen wir Israel?“ Jetzt sind die Freunde empört: „Das fragen die Goi!“ Am Ende packt Kat Rohrer die Wehrmachtsuniform ihres Großvaters aus, die im Klagenfurter Haus der Familie auf dem Dachboden ruht. Er war Nationalsozialist und starb im Krieg in Jugoslawien.

„Back to the Fatherland“ erzählt, abseits von den Katastrophen, auch einiges über Generationen, Kinder, die an Eltern und Großeltern hängen und ihre Absolution wollen, auch wenn sie etwas tun, dem die Alten gar nicht zustimmen. Man spürt die Skrupel und die Angst, loszulassen, auf allen Seiten.

Gedreht wurde in Wien, Salzburg und in Israel, wo die Holocaust-Memorial-Day-Sirenen den Verkehr zum Stillstand bringen. Und doch ist Israel heute ein beliebtes Reiseziel bei vielen jungen Leuten, speziell das moderne und lebendige Tel Aviv, früher kamen vor allem Pilger ins Heilige Land. Die Lust, wegzufahren, sich auszutauschen, ist offenbar auf beiden Seiten vorhanden. Dabei gibt es auch skurrile Erlebnisse: Auf einer Party in Berlin, erzählt Levanon, habe sie ein junger Mann gefragt, wo sie herkomme: Israel. Schweigen. Dann versicherte der Bursche eilig: „Ich hatte keine Nazis in meiner Familie, ich habe nachgeforscht.“

Der Film behauptet eine gewisse schwebende Dramaturgie, wo sind wir gerade? Wer sind wir? Ist das so wichtig? Am Ende bleibt alles offen. Dan ist Vater geworden, das hat ihn geerdet – und die Akteure haben gelernt, dass es zweierlei ist, über Erfahrungen zu reden oder sie zu erleben. „Es ist eine frustrierende Reise. Du wirst nie die Antwort bekommen, die du suchst“, sagt Kat Rohrer.

ZUR PERSON

Kat Rohrer wurde 1980 in Wien geboren. Sie studierte an der School of Visual Arts in New York City, drehte Kurzfilme und gründete 2002 ihre Firma GreenKat Productions. „Presse“-Premiere von „Back to the Fatherland“ ist am 13. 10. um 19.30 Uhr im Wiener Metro-Kino – in Anwesenheit von Kat Rohrer, Gil Levanon, Anneliese Rohrer, Moderation: Christian Ultsch, „Presse“-Außenpolitik-Chef. Der Film läuft derzeit im Kino (Burgkino 14. 10., 14 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2018)

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