„Ciao Chérie“: Die Einsamkeit in der Telefonkabine

Die Nähe, die Nina Kusturicas Figuren zu ihren Geliebten aufrechterhalten, ist eine trügerische.
Die Nähe, die Nina Kusturicas Figuren zu ihren Geliebten aufrechterhalten, ist eine trügerische.(c) NK Projects
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„Ciao Chérie“ spielt in einem Wiener Callshop – und zeigt, wie wenig Ferngespräche gegen Heimweh helfen.

Das Telefon, meinte Roland Barthes, sei mit einer Bedeutung behaftet, die nicht die der Verbindung, sondern die der Distanz ist – besonders, wenn zwei Menschen, die sich vorher nahestanden, ins sogenannte Fading geraten, in jene unabsehbare Phase also, in der sich der begehrte andere von jedem Kontakt zurückzuziehen scheint, während man sich selbst vergeblich darum bemüht, ihn wieder einzuholen. Dann wird die Stimme am anderen Ende der Leitung immer müder, schweigsamer, undeutlicher. Als wäre der andere zwar noch nicht verschwunden, aber schon im Verschwinden begriffen.

Die aus aller Herren Länder stammenden Figuren in Nina Kusturicas Film „Ciao Chérie“, der ausschließlich in einem Callshop in Wien spielt, reagieren auf diese Situation mit Angst, Ohnmacht, Trauer, Bitterkeit, Zorn, Verdrängung – oder Humor. Sie telefonieren mit Menschen, die ihnen nicht nur örtlich entrückt sind, sondern mit denen sie auch Empfindungen wie Wehmut, Sehnsucht und eine tiefe Verbundenheit assoziieren. Die Nähe, die sie zu ihren Verwandten, Freunden, Geliebten aufrechterhalten, ist aber so trügerisch wie das ambivalente Wesen des von ihnen verwendeten Mediums selbst, das die Ferne zum anderen nie wirklich aufhebt, sondern sie nur verdeutlicht.

Altmodische Apparate

Und so beobachtet man eine Gruppe von Zugewanderten, wie sie an den Hörern altmodischer Apparate mit ihrem Heimweh ringen – und es paradoxerweise vergrößern, indem sie sich um seine Beseitigung bemühen. Man hört zu, wie sie den anderen davon zu überzeugen versuchen, nach Österreich zu kommen. Manchmal scheitert es an den Einwanderungsgesetzen. Manchmal daran, dass der Angerufene nicht nach Europa will. Immer wieder merkt man, wie die Telefonierenden ihre Emotionen zurückhalten, wie sie ihre Enttäuschung überspielen oder etwas verschweigen – nicht aus Verlogenheit, sondern aus Rücksicht auf sich selbst und den anderen.

Telefonieren heißt sich spalten

Nach dem Auflegen verharrt die Kamera noch oft vor dem leeren Gesichtsausdruck der Menschen. Das Gesagte scheint in ihnen nachzuklingen. Tränen fließen. Es hat alles nichts gebracht: Man muss zurück in den Alltag und damit zurechtkommen, einsam zu bleiben, sich fremd zu fühlen. Diese Grenzzustände im Gefühlsleben von Eingewanderten ernst zu nehmen und zu ergründen, statt sie als sentimentale Nebensächlichkeiten abzutun, ist ein großes Verdienst von Kusturica. Ihr episodisch strukturierter Film basiert auf Recherchen. Die meisten Schauspieler sind Laien. Dass der Schauplatz (abgesehen von ein paar dokumentarischen Außenaufnahmen) auf den Shop beschränkt bleibt, trägt gleichwohl zu keiner klaustrophobischen Atmosphäre bei: Kameramann Michael Schindegger versteht es exzellent, den begrenzten Raum durch Glasscheiben und Spiegelungen zu verwinkeln.

Die Telefonierenden hört man teils durch transparente Wände hindurch – drinnen wird auf Drängen der Familie mit der künftigen Ehefrau aus Afghanistan telefoniert, draußen macht die österreichische Freundin mit Gesten der Zuneigung auf sich aufmerksam. Telefonieren bedeutet hier nicht selten, sich spalten zu müssen – man fühlt sich den Daheimgebliebenen weiter verpflichtet, wodurch man in der Fremde nie richtig heimisch werden kann. Aber manchmal, wenn keine Wünsche oder Erwartungen im Spiel sind, ist das Telefon dann auch wieder eine ganz wunderbare Maschine: Man kann Kontakt halten. Vielleicht nur oberflächlich, aber immerhin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2018)

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