„Wanderlust“: Polyamorie ist nichts für Feiglinge

Begegnungszone Schlafzimmer. Alan (Steven Mackintosh) und Joy (Toni Collette) in „Wanderlust“.
Begegnungszone Schlafzimmer. Alan (Steven Mackintosh) und Joy (Toni Collette) in „Wanderlust“.(c) BBC/Netflix
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In der Serie „Wanderlust“ versucht ein Paar, die abnehmende Lust aufeinander zu überwinden. Toni Colette und Steven Mackintosh probieren es mit außerehelichen Abenteuern.

Es gibt diesen simplen Spruch mit dem Appetit, den man sich woanders holt und dem Essen, das man zu Hause . . . So banal der Spruch ist, das Ehepaar Richards interpretiert ihn in der Miniserie „Wanderlust“ neu. Die Richards, das sind Joy (Toni Collette) und Alan (Steven Mackintosh); sie Paartherapeutin, er Lehrer, gemeinsam haben sie drei halbwüchsige Kinder und ein Häuschen in der Vorstadt. Ihr Sexleben ist eintönig und langweilig geworden; zuletzt so gut wie eingeschlafen, was Joy erst so richtig bewusst wird nach einem schweren Autounfall, der sie lang an Krücken gefesselt hat. Nach der überstandenen Therapie will die Erotik so gar nicht mehr ins eheliche Schlafzimmer zurückkehren.

Fast zeitgleich stillen beide ihre „Wanderlust“ mit einem intensiven Flirt inklusive Körperkontakt. Die Eheleute beichten einander im Bett von ihren Ausrutschern und kommen, nachdem sie nachvollziehbare Gefühle wie Wut und Eifersucht überwunden haben, in einem ehrlichen Gespräch zum Punkt, dass sie schon länger keine Lust mehr haben, miteinander zu schlafen. Es ist Joy, die das Undenkbare ausspricht: „Aber warum lassen wir es dann nicht?“ Sie meint nicht den Sex überhaupt, sondern nur miteinander. Stattdessen wollen beide ihre Flirt-Partner wiedersehen, sie den schüchternen Marvin aus ihrer Physiotherapie und er die selbstbewusste Lehrerkollegin Claire.

Also vereinbaren sie für denselben Abend ein Date. Davor trinken sie zu Hause gemeinsam ein Glas Rotwein und sagen den Kindern Adieu. Im Auto sitzen sie nervös und Kaugummi kauend nebeneinander wie Teenager und singen lauthals zu einem ihrer Lieblingssongs. Es ist eine der besten Szenen dieser Miniserie, einer Kooperation von BBC one und Netflix. Die Eheleute trennen sich für diesen Abend und das Abenteuer. Aber spätnachts kehren sie heim und begegnen einander im dunklen Badezimmer, wo sie flüsternd fragen, um die Kinder nicht zu wecken: „Und, wie war's bei dir?“

Und, Schatz, wie war's letzte Nacht?

„Wanderlust“ geht behutsam der Frage nach, wie Paare mit der abnehmenden Lust aufeinander umgehen können. Das klingt nach Fremdschämen und schmuddeligen Szenen – ist es aber nicht. Drehbuchautor Nick Payne hat beachtliche Dialoge für Joy und Alan geschrieben, ihr erstes Gespräch über die Schlafzimmerkrise ist bemerkenswert. Ehrlich und hart, aber doch liebevoll.

Denn genau darum geht es: Dieses Paar liebt sich noch und will zusammen sein, die Zeit miteinander verbringen. Nur die körperliche Anziehung ist gewichen, dagegen wollen beide etwas tun. Doch auch wenn die erste externe Datenacht Spaß gemacht hat und sogar kurzfristig das eheliche Liebesleben wiederbeleben kann, bleibt die Sache kompliziert. Polyamorie ist nichts für Feiglinge. So einfach ist es eben nicht, wenn der Partner mit jemandem anderen intim wird oder sich sogar emotional auf ihn einlässt.

Es geht hier um heikle Themen, so heikel, dass viele Menschen sie nicht einmal mit engsten Freunden besprechen. Umso dankbarer ist man über eine Serie wie „Wanderlust“, die Räume abseits von Trennung und Betrug öffnet und diese auch noch ansprechend bespielt. Die sechs einstündigen Folgen sind außerdem sorgfältig komponiert und mit feiner Popmusik unterlegt. Schon jetzt lässt sich sagen: Diese Serie ist die unerwartete Entdeckung des Jahres.

„Wanderlust“: Sechs Folgen ab heute, Freitag, auf Netflix.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2018)

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