Kopfkino eines Polizisten im Großraumbüro

„The Guilty“ ist einer der besten Actionthriller seit Langem.
„The Guilty“ ist einer der besten Actionthriller seit Langem.(c) Filmladen
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„The Guilty“ ist einer der besten Actionthriller seit Langem.

Im Actionfilm entlädt sich der innere Furor eines Helden in sichtbaren Handlungen (rennen, schlagen, schießen), im Kriminaldrama meist in subtilerer Form: Ein Detektiv prügelt sich nicht, er deckt auf, er überlegt. In „The Guilty“ hat der Protagonist das Problem, dass er sich selbst als Actionheld wahrnimmt, aber das Szenario, in dem er sich findet, nach einem weisen Ermittler verlangen würde.

Dieser dänische Festivalhit von Gustav Möller ist einer der besten Actionthriller seit Langem, obwohl er weder Action zeigt noch einen scharfsinnigen Schnüffler zum Helden hat. Der Schauplatz, ein Großraumbüro, wird nie verlassen. Zu sehen ist fast ausschließlich ein ehemaliger Streifenpolizist, dem der Finger zu locker am Abzug der Dienstwaffe gesessen ist, weshalb er in die Notrufzentrale strafversetzt wurde. Ein impulsgesteuerter Mann, dem es gar nicht gefällt, nur Hilferufe von Menschen in Konflikten entgegenzunehmen, in die er physisch nicht eingreifen kann. Der vorschnell, oft besserwisserisch über die Anrufer urteilt. Der Situationen nicht begreift. Den sein enger Handlungsspielraum kränkt.

Als ihn eine Frau anruft, die in den Fängen ihres gewalttätigen Ex-Ehemanns ist, hat er eine Idee: Vielleicht kann er die Tragödie durch Rhetorik und Herumtelefonieren beeinflussen, um so seine Macht zu vergrößern? Zu sehen ist nur sein regloses, allenfalls Nervosität anzeigendes Gesicht; die Kopfhörermuschel auf seinem Ohr wird zeitweise zum schwindelerregenden Zentrum des Bildes. Die Stimmen aus dem Off lassen ein doppeltes Kopfkino entstehen, bei dem man die eigene Interpretation mit den Vorurteilen vergleicht, an denen sich der engstirnige Gesetzeshüter zu orientieren scheint.

Der Schrecken dieses Films besteht darin, dass er das Täuschungspotenzial in aller menschlichen Kommunikation bloßlegt. Er ist nicht nur ein kleines Meisterwerk des Suspense-Kinos, sondern auch existenzialistische Parabel: Die Individuen sind in ihren Lebenslagen isoliert, ja interniert. Jeder ist allein. Nur am Ende wird die Distanz aufgehoben. Für wie lang, das bleibt ungewiss. Der nächste Anrufer ist schon in der Warteschlange.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2018)

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