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M.I.A.: Darf eine politische Rapperin getrüffelte Pommes essen?

„Hätte ich den Mund gehalten und mich nur auf Hits kapriziert, dann wäre ich heute drogenabhängig“: Mathangi Arulpragasam vulgo M.I.A., porträtiert von Steve Loveridge.
„Hätte ich den Mund gehalten und mich nur auf Hits kapriziert, dann wäre ich heute drogenabhängig“: Mathangi Arulpragasam vulgo M.I.A., porträtiert von Steve Loveridge.Stadtkino Filmverleih
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Viele Fragen stellt der Film „Matangi/Maya/M.I.A.“. Es ist das Porträt eines armen Flüchtlingskinds, das zum Star wurde.

„Andere Väter waren Rechtsanwalt oder Geschäftsmann, meiner wurde Terrorist“, sagt Mathangi Arulpragasam. In der nächsten Szene sieht man sie als Studentin der Londoner Kunstschule Central Saint Martins charmante Wackelbilderfilme erstellen. Jarvis Cocker hat diese Schule besucht, auch Stella McCartney, Lucian Freud, John Galliano. Und eben das Flüchtlingskind Mathangi. 1975 im Westlondoner Bezirk Hounslow geboren, mit einem halben Jahr von ihren tamilischen Eltern nach Sri Lanka ausgeschifft, später als politischer Flüchtling wiedergekehrt, durchmaß sie die Strecke vom bettelarmen Refugee zum Popstar M.I.A. in Rekordzeit. Eine Geschichte, die die Medien lang liebten.

Ihr Künstlername lässt sich schlicht als Maya lesen, seine Trägerin macht oft aber das Akronym „Missing In Action“ geltend. In London wohnte sie ärmlich, blendete die Realität, so gut es ging, mit Radiohören aus. Jeden Abend schlief sie mit Kopfhörern ein. Nach einem Einbruch war das Radio weg. In der ersten Nacht ohne Ohrenschnuller hörte sie aus einer Nachbarwohnung die amerikanische Hip-Hop-Band Public Enemy: „Die Beats waren unglaublich, aber was mich noch mehr faszinierte, waren die politischen Losungen, die sie rappten.“

Regisseur Steve Loveridge präsentiert in seiner Doku „Matangi/Maya/M.I.A.“ charmante Wackelbilder aus dem Fundus von M.I.A. selbst, kontrastiert diese mit aktuellen Aufnahmen und Fernseharchivbildern. Er erzählt den Aufstieg und den späteren Rückschlag der Künstlerin in Rückblenden.

Sie dockte zunächst an die Indie-Rock-Szene an. Ihre Freundin Justine Frischmann, Sängerin der Girl-Punkband Elastica, zeigte ihr, welche Kraft Musik entfalten kann. Bald tüftelte M.I.A. auf einem Roland MC-505 selbst Beats aus. Mit 21 Jahren reiste sie nach Sri Lanka, um alte Zimmer zu begehen und Familienangehörige zu besuchen. Nach ihrer Rückkehr machte sie mit der Musik ernst, schrieb erste Songs über die Revolution und ihre negativen soziale Folgen. Mit dem Debütalbum „Arular“ und Songs wie „Sunshowers“ kam sie 2005 in die Charts. Die Musik wurde ihr zum Werkzeug, die inneren Spannungen loszuwerden. Aus ihrer frühen Ablehnung der Realität wurde eine Wirklichkeit, die fantastischer ist als alles, was sie sich in jungen Jahren hätte vorstellen können.

„I want to be an outsider“

2007 wurde mit dem Album „Kala“ alles noch größer. Sie mischte elektronische Klänge, Grime und Hip-Hop mit Dancehall und exotischen Elementen. Mit „Paper Planes“ gelang ihr einer der besten Songs der Dekade. Er wurde Teil der Soundtracks von „Slumdog Millionaire“ und von Michael Moores „Capitalism: A Love Story“. 2009 war sie für Grammy und Oscar nominiert. Dann kam der Backlash, ausgelöst durch einen Artikel in der „New York Times“: „I kind of want to be an outsider“, habe sie im Interview gesagt, während sie getrüffelte Pommes frites aß. Was die Journalistin so kommentierte: „Is the Sri Lankan Musician's political Rap more than just radical chic?“

Das erzürnte M.I.A. zutiefst. MTV zensurierte ihre Videos, TV-Host Bill Maher machte sich vor laufender Kamera über ihr Engagement lustig. Es folgte die Superbowl-Kontroverse: Sie trat gemeinsam mit Madonna auf und zeigte den Stinkefinger. Die NFL klagte sie auf 16 Millionen Dollar. M.I.A. erklärte nicht unoriginell, es habe sich um eine „spirituelle Geste“ gehandelt. Die Zuseher waren empört. „Warum nicht winken und zwinkern?“ meinte einer. Enttäuscht war sie auch von Madonna: „Seeing her bossed around by these cowboys was strange.“

Am Ende des Films sitzt M.I.A. in einem indischen Imbiss und räsoniert darüber, welche Ziele sie sich noch setzen könnte. Sie bleibe jedenfalls bei ihrer politischen Agenda, gerade in Zeiten, in denen Immigranten missbraucht werden, für den Brexit und den Bau von Mauern. „Warum bist du ein problematischer Popstar?“, wird sie zu Beginn des Films gefragt. Ihre Antwort: „Hätte ich den Mund gehalten und mich nur auf Hits kapriziert, dann wäre ich heute drogenabhängig. Ich kam in die Musik, um meine Meinung zu sagen.“ Das tat sie, befolgte aber auch den Rat ihrer Oma: „Live a happy life like I do.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2018)

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