Hat auf einer russischen Arktisstation ein Kollege auf den anderen eingestochen, weil der ihm das Ende eines Krimis zu verraten drohte? Ein Plädoyer für einen gelasseneren Umgang mit dem Spoilern von Plotpoints.
Es gibt ja Menschen, die lesen ein Buch prinzipiell von vorn bis hinten, Wort für Wort, Satz für Satz. Niemals würden sie sich von ihrer Neugierde verführen lassen, ein paar Seiten vorzublättern. Es sind dieselben, die einem ewig gram sind, wenn man versehentlich das Ende eines Films verraten hat. Da gehe es nicht nur um die Spannung, sagen sie. Sondern um Respekt vor dem Werk! „So ein Film ist wie ein Kartenhaus, wenn man eine Karte herauszieht, bricht alles ein“, sagt ein Kollege. Jeder Plotpoint ist ihm heilig. Dann gibt es Menschen wie mich. Wir überspringen in Romanen gern die eine oder andere Passage – und werfen sogar bei Krimis manchmal einen voreiligen Blick auf die letzten Seiten. Wir spulen bei Filmen und Serien vor, wenn uns eine Szene zu brutal ist – und das war bei „Game of Thrones“ sehr oft der Fall. Und bevor wir ins Kino gehen, wissen wir ganz gern, was uns erwartet. Was den Respekt betrifft, berufen wir uns auf Umberto Eco. Jedes Kunstwerk ist offen. Es ist der Leser, der es vollendet. Das sind schließlich wir!
Verdirbt es einem wirklich den Spaß, wenn das Ende eines Buchs oder Films verraten wird? Studien legen das Gegenteil nahe. Trotzdem wollen nur wenige "gespoilert" werden. Wir stellen unser Best-of-Spoiler vor: "Star Wars: Episode V – Das Imperium schlägt zurück" Dieser Moment ließ den ersten "Star Wars"-Film "Episode IV – Eine neue Hoffnung" und auch den zweiten in neuem Licht erscheinen. Denn nach einem Lichtschwertkampf eröffnet Darth Vader dem Filmhelden Luke Skywalker: "Ich bin dein Vater." Weiß heute freilich jeder, trotzdem bleibt "Star Wars" beliebt wie eh und je. (c) imago stock&people (imago stock&people) Was für ein Spoiler! Was für ein Tod! Dass Ned Stark, der klare Held in "Game of Thrones" vor dem Ende der ersten Staffel stirbt, war ein Tabubruch – dieser Tod hat das Fernsehen verändert. Niemand ist mehr sicher, schon gar nicht, wenn er von Sean Bean gespielt wird! (c) HBO Außer er heißt Jon Snow. In den ersten sieben Staffeln der Fantasy-Serie starben schon einige Hauptfiguren - so auch Jon Snow. Nur wurde er im Gegensatz zu den anderen von den Toten wieder erweckt. Und wenn wir schon bei dem mysteriösen Mr. Snow sind: Er ist gar nicht der leibliche, ledige Sohn von Ned Stark. Sondern das Kind von dessen Schwester Lyanna und - tadaaa! - dem lang verstorbenen Thronfolger Rhaegar Targaryen. Somit hätte Jon Snow Anspruch auf den Eisternen Thron. (c) HBO 27 Tote, fünf Verdächtige und verschwundene Millionen: in Bryan Singers Film gilt es, ein Verbrechen aufzuklären, doch das Motiv fehlt. Erzählt wird meistens aus der Perspektive des körperbehinderten Kleinkriminellen Verbal Kint. Und alle Fäden führen zu dem mysteriösen Gangsterboss Keyser Söze - der niemand anderer ist als Kint selbst. Schauspieler Kevin Spacey holte sich mit seinem Doppelspiel den Oscar. Wie schade, dass er sich seine Karriere nun selbst verbaut hat. (c) imago/Prod.DB Es gab Liebe, Gewalt, Geburt, Leben, Drogen und jede Menge Geheimnisse - und das alles auf einer Insel im Pazifik, wo die Insassen eines Flugzeugs nach dessen Absturz landen. Klingt nach ein bisschen viel für eine einzige Insel? Ist ja eigentlich auch eine Parallelwelt und eine Art Fegefeuer, von wo aus die Figuren nach 120 Folgen voller Spannung weiterreisen sollen Richtung Himmel. (c) imago/Cinema Publishers Collecti (APC) "Rosebud" (Rosenknospe) murmelt der Bürger Kane am Sterbebett zu Beginn des Films. Am Ende ist klar: Es ist kein lang gehütetes Geheimnis, das der mächtige Medienmann verraten hat, auch kein Codewort oder Kosename für eine Verflossene. Es ist der Name des Schlittens, den Charles Foster Kane als Bub so liebte - und der symbolisch für seine verlorene Kindheit steht. (c) imago/Cinema Publishers Collecti (HA) Eigentlich ist es ja klar, denn ältere weise Zauberer sterben in Fantasy-Filmen und -Romanen doch immer, oder? Aber als Albus Dumbedore am Ende von "Harry Potter und der Halbblutprinz" von Severus Snape getötet wird, ist man doch geschockt. Vor allem, da Dumbedore doch immer seine schützende Hand über Snape gehalten hat. Das Warum erfahren wir erst im nächsten Film. (c) imago/Prod.DB (a) Ein namenloser braver Angestellter (Edward Norton) lernt den wilden Tyler Durden (Brad Pitt) kennen, der ihn in eine Welt voller Abgründe, Blut und Schweiß entführt. Nur um am Ende draufzukommen: Tyler Durden, das ist er selbst. (c) imago/Prod.DB Ein Mann landet auf einem fremden Planeten, auf dem die Affen das Sagen haben und die Menschen bloß Sklaven sind. Am Ende des Films endeckt er eine Statue am Strand, die ihm bekannt vorkommt: die Freiheitsstatue! Der "Planet der Affen" ist also die Erde. Als der Film 1968 herauskam, war das eine Überraschung. Heute nicht mehr. In den jüngsten "Planet der Affen"-Filmen ist ganz klar, wo die Handlung spielt. (c) imago/United Archives (imago stock&people) Haley Joel Osment sieht tote Menschen - und ein überraschend actionloser Bruce Willis bemerkt erst am Ende, dass auch er zum Club der Toten gehört. Das Publikum kommt ebenfalls erst zum Schluss zu dieser Erkenntnis. "The Sixth Sense" ist bis heute das beste Werk von Regisseur und Drehbuchautor M. Night Shyamalan - vor allem wegen dieses Plotpoints, der zum Wiederschauen einlädt. (c) imago/ZUMA Press (imago stock&people) Wer hat Laura Palmer ermordet? Nach 16 Folgen wissen wir es endlich: Es war Lauras Vater Leland Palmer. Der wahre Täter ist freilich ein dämonischer Geist namens Bob, der von Leland Besitz ergriffen hat. (c) imago/United Archives (imago stock&people) Leonardo DiCaprio will in Martin Scorseses Thriller eine Verschwörung mit Menschenversuchen in einem abgelegenen Irrenhaus aufdecken, und muss dann feststellen: Er selbst ist Insasse und hat ein Trauma verdrängt. (c) imago stock&people (imago stock&people) Natürlich gibt es auch in der Literatur Spoiler – und wir sprechen hier nicht von der Frage nach dem Mörder in Krimis, sondern von einem Plotpoint wie in Philip Roths "Der menschliche Makel": Darin wird der Literaturprofessor Coleman Silk gefeuert, weil er eine angeblich rassistische Äußerung getätigt hat. Doch, was niemand weiß: Silk ist selber ein Afroamerikaner, der als Weißer lebt. In der Verfilmung von 2003 wird der Professor von Anthony Hopkins verkörpert. Dass er eigentlich schwarz ist, kauft man ihm leider nicht ab. (c) imago/Prod.DB Titelheld Hamlet stirbt am Ende von Shakespeares Stück - wie auch sein Widersacher und Stiefvater Claudius und Mama Gertrude. Ophelia ist sowieso schon tot. Nur Horatio überlebt. Das kliungt zwar trist, lockt aber trotzdem seit mehr als 500 Jahren die Massen ins Theater. Und wir sagen ja: Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte - selbst wenn man das Ende schon kennt! (c) imago/Prod.DB Die größten Spoiler: Und dann stirbt ... Uns könnte jedenfalls nie passieren, was einem Elektroingenieur auf einer russischen Antarktisstation widerfahren ist: Er hat sich laut Spiegel plus in der Einsamkeit zum Krimiliebhaber entwickelt. Er las gerade „Die vier Söhne des Doktor March“ von Brigitte Aubert, da drohte ihm sein Kollege zu verraten, bei welchem der Söhne es sich um den Serienkiller handelt. Der Elektroingenieur griff zu zu einem Küchenmesser und stach zu. Mitten in die Brust.
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