„Juliet, Naked“: Weltschmerz-Idol, in England gestrandet

At the seaside: Ethan Hawke als Tucker Crowe, Rose Byrne als Annie.
At the seaside: Ethan Hawke als Tucker Crowe, Rose Byrne als Annie.(c) Thimfilm
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Ab Freitag im Kino: Liebes-, Trennungs-, Musik- und Künstlerfilm, halb ironischer Kommentar zum Indie-Rock, Hommage an die britische Küste: „Juliet, Naked“, die Verfilmung des Romans von Nick Hornby, ist all das – und angenehm bescheiden.

Berührend, ohne rührselig zu sein: Das ist, quasi naturgemäß, jede gelungene Verfilmung eines Romans von Nick Hornby, und das ist auch „Juliet, Naked“. Wobei diesfalls eine besondere Quelle der Rührung dazukommt, zumindest für alle Britophilen, die sich je in einen dieser anmutigen vergilbten Badeorte an der englischen Küste verliebt haben: „Juliet, Naked“ spielt in einem solchen, in einem fiktiven zwar (Gooleness heißt er), aber gedreht wurde er in Broadstairs und Ramsgate, dort werden die Bed-&-Breakfast-Pensionen nächste Saison sehr gefragt sein . . .

Eine Idylle also. Und wie so oft in Idyllen ist den Menschen, die auch in der Nebensaison dort zu leben verdammt sind, ziemlich fad. Annie zum Beispiel, verkörpert von Rose Byrne, die Blümchenkleider tragen und bewegt dreinschauen kann, ohne dabei affektiert zu wirken. Sie ist nicht nur an Gooleness gefesselt, wo sie ein Amt im Heimatmuseum bekleidet, sondern auch an ihren Partner, Duncan, einen Nerd, der dem Ruf „Get a life!“ nie gefolgt ist, sondern stattdessen ein Zweithandleben führt, indem er Tucker Crowe, einen (fiktiven) verschollenen Helden des Indie-Rock, vergöttert.

Rock, der nicht Rock sein will

Indie-Rock? Ja, den gibt es heute nicht mehr so wirklich. (Eine weitere Quelle der Rührung also, für eine beträchtliche Menge von Menschen, die heute schon ihren Pensionstermin kennen.) Hier ist nicht der Platz für einen seriösen Nachruf, aber man kann schnoddrig sagen: Indie-Rock (kurz für Independent Rock) war Rockmusik, die sich von der Rockmusik distanzierte, zumindest von deren stadiontauglicher Form, mit ihren Protzereien und Verbrüderungsorgien. Entstanden war er mit dem Punk und der New Wave, doch als das „New“ schwand und das „Wave“ blieb, wurde die Sache immer düsterer, mit Schmerz, Schuld und Sühne als Leitthemen, siehe Nick Cave. Und exklusiver: Für den Badeort-Nerd Duncan – von Chris O'Dowd vielleicht eine Spur zu verschroben dargestellt – ist es sehr wichtig, dass nur eine auserlesene Schar sein Idol mit ihm teilt.

Gnadenhalber darf das auch Annie tun; und es geht ihr auf die Nerven. Ihre Genervtheit entlädt sich, als ihr die soeben – exklusiv! – erschienene Rohversion von Tucker Crowes legendärem Album „Juliet“ in die Hand fällt: „Juliet, Naked“, heißt sie, in Anlehnung an „Let It Be . . . Naked“, die 2003 erschienene, etlicher Arrangements entkleidete Urversion des letzten Beatles-Albums. Annie stellt, sehr zu Duncans Missfallen, eine so kritische wie analytische Besprechung auf die Homepage der Tucker-Crowe-Gemeinde und erhält eine völlig unerwartete Antwort – vom verschollenen Meister selbst, der Annies Kritik durchaus teilt, mehr noch: auch den von seinen Fans so bewunderten Liebes- und Weltschmerz von „Juliet“ als fades Selbstmitleid verachtet. Er selbst wohnt inzwischen in New Jersey, in der Garage seiner letzten Exfrau, hat weder Arbeit noch Inspiration, dafür etliche Kinder, die er fast alle vernachlässigt hat, außer seinen jüngsten Sohn, hinreißend gespielt von Ayoola Smart. Ethan Hawke gibt das gealterte, dezent von Alkohol gezeichnete Ex-Indie-Idol in Schlapfen und Wollweste, mit fetten Haaren, aber mit dem Charme des einsichtigen Losers.

Dieser Charme ist es auch, der Annie dazu bringt, die letzten Sehnsüchte ihrer ebenfalls, wenn auch auf ganz andere Weise gescheiterten Existenz auf Tucker Crowe zu projizieren, erst in Form eines Internetdialogs, dann live in Gooleness. Was mit sich bringt, dass Duncan sein Idol ziemlich unvorbereitet und persönlich kennenlernt . . .

Die Schlafzimmertür bleibt geschlossen

So – und mit noch ein paar Windungen und Wendungen – hat Nick Hornby den Plot gesponnen, Regisseur Jesse Peretz hat ihn ebenso geschickt gestrafft und manches leicht umgeschrieben: So wird bei ihm – im Gegensatz zum Buch – Crowe tatsächlich zum Opa, was im Film gewiss besser kommt als die Nachricht von einer Fehlgeburt. Ebenso klugerweise zeigt er die Sexszene nicht, sondern nur die Schlafzimmertür von außen, dem Motto entsprechend, das Nick Hornby schon in „High Fidelity“ für solche Fälle ausgegeben hat: „Behind Closed Doors“.

Die wunderbare tragikomische Szene, in der Tucker alle (mehr oder weniger unwilligen) Kinder an seinem Krankenbett versammelt, hat er belassen, genauso wie einen weiteren kontrapunktischen Handlungsstrang: die Vorbereitungsarbeiten für eine Sonderausstellung des Heimatmuseums über den Sommer 1964. Im Film tritt bei der Eröffnung Tucker Crowe auf – und spielt „Waterloo Sunset“ von den Kinks, diesen großen melancholischen Song, in dem einer die Welt und das Leben nur an sich vorüberziehen lässt. Spätestens dann hat jeder Zuseher, der nicht allzu weit weg vom Wasser gebaut ist, solches in den Augen. Wahrscheinlich hat er es schon früher, etwa bei Robyn Hitchcocks „Summer Never Comes“. Denn, wie sich das gehört bei einer gelungenen Nick-Hornby-Verfilmung, auch der Soundtrack ist sehr gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2018)

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