„Mary Poppins“: Noch ein Löffelchen voll Zucker

Ein Nostalgie-Abenteuer: Wunderbar altmodisch sind die handgezeichneten Geschöpfe in der Porzellanwelt, die Mary Poppins und ihre Schützlinge besuchen.
Ein Nostalgie-Abenteuer: Wunderbar altmodisch sind die handgezeichneten Geschöpfe in der Porzellanwelt, die Mary Poppins und ihre Schützlinge besuchen.(c) Coutesy of Disney
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Gegen den Letzten Willen der „Mary Poppins“-Autorin P. L. Travers bringt Disney eine Fortsetzung des gefeierten Klassikers ins Kino – nach 54 Jahren. Die Magie wirkt noch immer.

Die Premiere von „Mary Poppins“ am 27. August 1964 war ein denkwürdiges Ereignis. Die Besucher waren euphorisiert, auf dem roten Teppich tänzelten gigantische Plüschpinguine neben Goofy und anderen Figuren aus dem Disney-Kosmos. Walt Disney persönlich, der Premieren für gewöhnlich ausließ, war gekommen. Am Ende ließ man Tausende bunte Luftballons steigen, um die Geburt eines Filmklassikers zu feiern, der 13 Oscar-Nominierungen einheimsen, Publikum wie Kritiker jubeln lassen und noch Generationen von Familien nachhaltig begeistern würde.

Doch eine Frau saß weinend in ihrem Sitz und war außer sich. P. L. Travers, die Mary Poppins erfunden hatte, hasste so ziemlich alles an diesem Film. Die australisch-britische Autorin hatte sich über 20 Jahre lang von Walt Disney überreden lassen, ihm die Filmrechte zu geben (der Film „Saving Mr. Banks“ erzählt davon). Der Erfolg seiner Adaption machte auch sie reich. Doch sie war unglücklich darüber, dass Disney aus ihrer strengen, eitlen Gouvernante eine zu süßliche Erscheinung gemacht hatte, sie verachtete die fröhlichen Lieder, die die Sherman-Brüder komponiert hatten, und über alles verabscheute sie die Zeichentricktiere, die mit Mary Poppins und ihren Schützlingen steppt und Ringelspiel fahren. Danach schwor sie sich, Disney – oder überhaupt amerikanische Produzenten – nie wieder an ihre Kreation heranzulassen. Ein Schwur, den sie auch in ihrem Testament festgehalten haben soll.

Ihre Nachlassverwalter nehmen es 22 Jahre nach ihrem Tod offenbar nicht mehr so genau mit Travers' Letztem Willen: Gerade läuft „Mary Poppins' Rückkehr“ in den österreichischen Kinos an, eine auf Travers' Geschichten basierende Fortsetzung des legendären Films, der 20 Jahre später – also in den 1930er-Jahren – spielt und einer neuen Generation einen Besuch von Mary Poppins beschert. Dahinter steckt, richtig, der Disney-Konzern, der derzeit nicht müde wird, (mitunter recht schematisch) modernisierte Versionen seiner Klassiker ins Kino zu schleudern. Im Vergleich zu manch anderem Neuaufguss (besonders schal: „Christopher Robin“) ist der neue „Mary Poppins“-Film jedoch eine Wohltat.

Sie kommt mit einem Drachen geflogen

In Aufbau und Machart gleicht das von Rob Marshall („Die Geisha“, „Into the Woods“) inszenierte Werk dem Original, nur dass das rätselhafte Kindermädchen diesmal nicht mit dem Ostwind daherkommt, sondern an einem Drachen aus den Wolken gezogen wird – und dass es sich nicht um die putzig-rotzigen Kinder Jane und Michael kümmert, sondern (vor allem) um dessen drei überaus artige und verantwortungsbewusste Sprösslinge. Die Zeiten sind andere. Die Weltwirtschaftskrise hat dieses rußige London erfasst, der Witwer Michael (Ben Whishaw) droht das geliebte Haus am Kirschbaumweg 17 zu verlieren – ausgerechnet an die Bank, für die er arbeitet: Probleme, die ein Löffelchen voll Zucker nicht lösen kann. Mary Poppins wird diesmal weniger erzieherisch als verständnisvoll begleitend tätig. Gespielt wird sie von Emily Blunt, die sich mit perfekter Eleganz und gütig-arroganter Noblesse (sowie einer beachtlichen Singstimme) als würdige Julie-Andrews-Nachfolgerin erweist.

Mit der größten Selbstverständlichkeit gewährt Mary Poppins auch hier der Welt, sich in ein Theater zu verwandeln, das nur für sie spielt. Ein wiederkehrender Darsteller darin ist der Laternenanzünder Jack (Broadway-Star Lin-Manuel Miranda), ein Pendant zum umtriebigen Rauchfangkehrer Bert aus dem Original (dessen heute 93-jähriger Darsteller Dick Van Dyke ebenfalls eine Rolle spielt). Auch gezaubert wird wieder – wiewohl Mary Poppins jede Anspielung auf paranormale Dinge stets pikiert abtut: Neue Abenteuer führen durch die Badewanne in ein wundersames Unterwasserreich oder in die fragile Porzellanwelt einer kunstvoll bemalten Royal-Doulton-Schüssel, wo die Kinder über die glatte Glasur rutschen und jeder Schritt klackt. Dort hat auch die obligate animierte Menagerie ihren Auftritt: Beglückend, wie schön altmodisch und zweidimensional die Geschöpfe aussehen, die tatsächlich handgezeichnet wurden. Sogar die steppenden Pinguine haben noch ihre typischen rissigen Konturen.

Wer für „Mary Poppins“ eine schwelgerische Liebe hegt – und das dürften viele sein –, wird hier überhaupt einiges wiederentdecken, von der Ästhetik ikonischer Szenen über Schauplätze (etwa die staubigen Stufen der St. Paul's Cathedral) und Figuren (der alte Admiral Boom feuert noch immer seine Kanonen vom Nachbarhaus, nur geht seine Uhr jetzt fünf Minuten nach) bis zur Musik: Zwar wurde der Soundtrack komplett neu komponiert und erreicht nicht annähernd die Strahlkraft der alten Lieder, doch greifen die neuen immer wieder altbekannte Motive instrumental auf.

So viel Nostalgie und strukturelle Werktreue gehen bisweilen auf Kosten der Originalität. Doch wozu einen neuen Zaubertrick lernen, wenn der alte noch ein paar schöne Facetten hergibt? Die Magie, so viel zeigt die Fortsetzung, ist dem Disney-Konzern jedenfalls nicht abhandengekommen. Freilich: P. L. Travers würde auch diesen Film hassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2018)

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