„Beale Street“: So zärtlich kann Problemkino sein

Für ihre Rolle als leidgeprüfte Mutter der Protagonistin gewann Regina King einen Nebenrollen-Oscar. „Beale Street“ hätte noch mehr verdient.
Für ihre Rolle als leidgeprüfte Mutter der Protagonistin gewann Regina King einen Nebenrollen-Oscar. „Beale Street“ hätte noch mehr verdient.imago/Tatum Mangus Annapurna Pictures
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Oscar-Preisträger Barry Jenkins hat einen Liebesroman von James Baldwin verfilmt. „Beale Street“ ist bei aller Romantik auch eine Unterdrückungsgeschichte. Ab Freitag im Kino.

Als Barry Jenkins' „Moonlight“ 2017 den Oscar für den Besten Film gewann, war die Überraschung groß. Das lag am Patzer der Ansager, die irrtümlich das Musical „La La Land“ zum Sieger kürten, auch am raren Triumph eines unscheinbaren Indie-Dramas. Doch am stärksten verwunderte, wie wenig „Moonlight“ dem klassischen Oscar-Film-Klischee entsprach.

Auf dem Papier klang sein Plot wie ein Schnittmuster für sozial engagierte „Message Pictures“: die Lebenschronik eines schwulen, schwarzen Jugendlichen, der im Miami der 1980er trotz Armut und anderer widriger Umstände zu sich selbst findet. Doch die Umsetzung dieser Geschichte verzichtete nahezu vollständig auf das Pathos und den Botschaftseifer, die man landläufig mit Hollywoods Prestigeproduktionen verbindet; ihr Zugang war poetisch, melancholisch, voller sanfter Sinnlichkeit.

Man ahnte, dass die Auszeichnung von Jenkins' Preziose ein Ausreißer bleiben würde, womöglich mitbefördert durch die damalige Rassismusdebatte (Stichwort: #OscarsSoWhite). Bei der diesjährigen Verleihung ist wieder „business as usual“ eingekehrt. Zwar handelt auch der Siegerfilm, „Green Book“, von Rassen- und Klassenverhältnissen – doch er spielt sein Versöhnungslied auf altbewährten Kitschklaviaturen.

Baldwin hielt nichts von Sentimentalität

Was hätte wohl James Baldwin dazu gesagt? Man denkt an die geharnischte Kritik, die er dem umstrittenen Sklavereiroman „Onkel Toms Hütte“ entgegenschleuderte: „Sentimentalität, die aufdringliche Zurschaustellung exzessiver und oberflächlicher Emotion, ist das Wahrzeichen der Heuchelei, der Unfähigkeit zu fühlen.“

Baldwin (1924–1987) gilt als einer der bedeutendsten Dichter und Denker des schwarzen Amerika. Seit mehreren Jahren erfährt sein Werk eine Wiederentdeckung, die beinahe schon Hype genannt werden kann; Essayfilme wie „I Am Not Your Negro“ (2016) fördern das Baldwin-Fieber ebenso wie Neuauflagen und –übersetzungen seiner Bücher. Die Schärfe und Klarheit seines Stils, die Dringlichkeit seiner politischen Anklagen – sie passen zum aufgeheizten Gesellschaftsklima, das Donald Trumps Präsidentschaft in den USA gezeitigt hat.

Weniger bekannt ist Baldwins lyrische Seite. Dieser widmet sich Barry Jenkins in „If Beale Street Could Talk“ (für den deutschen Markt auf „Beale Street“ gekürzt), einer Adaption von Baldwins Roman von 1974. Das Drehbuch schrieb Jenkins vor seinem Oscar-Erfolg auf gut Glück. Vorlage wie Film spielen im New York der frühen 70er. Sie schildern die Liebesgeschichte zweier Afroamerikaner, der 19-jährigen Tish (KiKi Layne) und des 22-jährigen Fonny (Stephan James).

Gleich zu Beginn gibt Jenkins den Takt vor, der den ruhigen, zwischen Weh- und Lebensmut pendelnden Film leiten wird: Das Pärchen spaziert eine Parkpromenade zum Hudson hinab, die Kamera folgt ihm aus der Vogelperspektive. Irgendwann drehen sich die zwei zueinander, blicken sich an, ein inniger Kuss. Diese Liebe, ist man sofort überzeugt, wird allen Prüfungen standhalten.

Unschuldig im Gefängnis

Diese lassen nicht lange auf sich warten. Bei Fonny sind es die Perspektivlosigkeit seiner Generation und der omnipräsente Alltagsrassismus, die ihn schließlich unschuldig ins Gefängnis bringen. Bei Tish (deren am Originaltext orientierter innerer Monolog das Geschehen aus dem Off kommentiert) eine ungeplante Schwangerschaft und die vehemente Ablehnung durch Fonnys bigotte Mutter. Zuflucht bietet ihre eigene Familie – und die spontane Solidarität Unbeteiligter.

Jenkins erzählt nicht mit großen Gesten, sondern über Stimmungsbilder und Gesprächsszenen, gedämpfte Farbdramaturgie und geduldige Großaufnahmen, immer wieder die Zeitebenen wechselnd. Es ist eine Ästhetik der Zärtlichkeit, das Gegenteil vom Gangstergehabe, das das New Black Cinema der 1990er bestimmte. Nicholas Britells Streichersoundtrack, ein einziges melodiöses Legato, verleiht die Anmutung eines wohlig-traurigen Traums. Dennoch spürt man die Abgründe an seinen Rändern; periodisch schneidet Jenkins auf Schwarz-Weiß-Fotos, die von der Gewalt gegen die schwarzen Bewohner vieler US-Metropolen zeugen.

Zwar erhielt die TV-Veteranin Regina King jüngst einen Oscar für ihre Darstellung von Tishs leidgeprüfter Mutter – doch in der Kategorie „Bester Film“ wurde „Beale Street“ übergangen. Nicht schlimm: Jenkins scheint sich und seiner Kunst ohnehin andere, spannendere Ziele gesteckt zu haben.

DIE BALDWIN-RENAISSANCE

Eine neue deutsche Werkausgabe bringt derzeit eine Baldwin-Renaissance: Vor einem Jahr begann sie im dtv-Verlag mit Baldwins Debütroman, „Von dieser Welt“ („Go Tell It on the Mountain“, 1953). Ende Jänner dieses Jahres folgten zwei weitere Bände: die Romanvorlage des Films „Beale Street“ („Beale Street Blues“) sowie „Nach der Flut das Feuer“ („The Fire Next Time“). Die Übersetzungen stammen alle von Miriam Mandelkow.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2019)

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