Ein kluges Roadmovie aus dem Burgenland

„Aufbruch“
„Aufbruch“Stadtkino Filmverleih
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Der Wahlwiener Ludwig Wüst erweist sich mit „Aufbruch“ abermals als kunstsinniger Kino-Existenzialist.

Der stämmige Mann im blauen Overall und die zartgliedrige Frau im schwarzen Mantel (Claudia Martini) haben sich aus Trennungsschmerz in die Peripherie begeben. Er hat seine Lebensgefährtin verlassen, sie mit ihrem Bruder gebrochen. Auf abgelegenen Sitzbänken und unter verlassenen Eisenbahnbrücken fühlen sie sich unbeobachtet. Dort können sie ins Narrenkastl starren, vor emotionaler Erschöpfung eindösen oder in Tränen ausbrechen, ohne sich schämen oder rechtfertigen zu müssen. Nur das Geräusch fahrender Autos von einer nie weit weg gelegenen Schnellstraße und der Klang durchs Bild rollender oder zischender Züge verhindern ein vollständiges Ausblenden der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sonst bleibt es auffällig menschenleer und still in „Aufbruch“, dem neuen Film von Ludwig Wüst, einem Wahlwiener aus der Oberpfalz.

Wortkarge Vagabunden

Neben den zwei Protagonisten, die sich zur Fahrgemeinschaft zusammenschließen und im dreirädrigen Gefährt des Mannes (vom Regisseur selbst verkörpert) über einsame Landstraßen im Burgenland tuckern, treten in dem Roadmovie-Kammerspiel keine weiteren Figuren in Erscheinung. Die Verbindung zwischen den Vagabunden funktioniert weitgehend wortlos, über zärtliche Gesten, empathische Blicke und praktische Gefälligkeiten. Amouröses, sexuelles oder ökonomisches Interesse ist nie im Spiel, die Solidarität ein reiner Effekt der gemeinsamen Trauer. Absurde und humorvolle Zwischentöne sorgen für leichte Aufhellung des überwiegend von Entfremdung, Einsamkeit und Schwermut geprägten Weltbildes, das Wüst entwirft.

Typisch für Wüsts vornehmlich am europäischen Kunstkino geschulte Ästhetik sind die minimalistische Erzählweise, die Reduktion auf die Körperlichkeit der Darsteller und die langen, präzise komponierten Kameraeinstellungen, die den Blick für die Sinnlichkeit von Landschaften, Details und Tätigkeiten mit den Händen schärfen. Wenn der Mann in einer alten Tischlerei aus zwei Holzbrettern ein Kruzifix zimmert, das er später zum Feuermachen verwenden wird, oder die Frau eine vergilbte Tapete in ihrem verwaisten Elternhaus bloßhändig mit weißer Farbe bemalt, sind die Anspielungen – auf christliche Passion bzw. unbespielte Kinoleinwand – vielleicht zu eindeutig; die sensuelle Hervorhebung des Hämmerns und Kratzens würde ohne die offensichtliche Symbolik besser wirken. Trotzdem: ein intensiver, kluger, formal origineller Film, für den cinephile Melancholiker viel übrig haben werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2019)

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